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Wer, wenn nicht die EU, kann die Digitalisierung gestalten?!

Beschäftigte müssen zentrale Akteur:innen bei der Gestaltung von Digitalisierung in der EU sein

Die Digitalisierung verändert unsere Wirtschafts- und Arbeitswelt grundlegend. Nur mit europäischen Zukunftsinvestitionen können wir im technologischen Wettbewerb mit den USA und China bestehen. Außerdem muss die Mitbestimmung der Beschäftigten bei diesen Veränderungsprozessen sichergestellt sein. Wer, wenn nicht die EU, kann diese Veränderungen politisch gestalten?

Digitalisierung in der europäischen Arbeits- und Wirtschaftswelt

Wir leben in einer global vernetzten Welt. Digitalisierungsprozesse machen vor Ländergrenzen längst keinen Halt mehr, insbesondere in Konzernen nicht. Es liegt daher auf der Hand, in einem gemeinsamen Binnenmarkt auch die politische Gestaltung der Digitalisierung gemeinsam – also auf europäischer Ebene – vorzunehmen. Es muss sichergestellt sein, dass die durch steigende Produktivität geschaffene Wertschöpfung fair verteilt wird und Unternehmen sich hinsichtlich Steuerabgaben und Arbeitsrecht nicht ihrer Verantwortung entziehen können.

Digitalisierung verändert inzwischen alle Branchen und Unternehmen – manchmal werden ganz neue Geschäftsmodelle entwickelt, manchmal werden „nur“ einzelne Prozesse digitalisiert. Das stellt auch Betriebsrät:innen vor völlig neue Herausforderungen. Es ist gleichermaßen technisches, wirtschaftliches, organisatorisches und rechtliches Verständnis gefragt.

Unser Anspruch als Gewerkschaft GPA ist es, Digitalisierung aktiv mitzugestalten. Denn es liegt an uns allen, ob mit der Digitalisierung technologische Entwicklungen im Sinne der Beschäftigten erfolgen oder ob es nur darum geht, Arbeit geringer zu entlohnen und die Beschäftigten besser kontrollieren zu können.

Aktive Mitgestaltung auf europäischer Ebene sicherstellen

Damit die Veränderungen von Arbeitsabläufen auch zu besseren Arbeitsplätzen führen, müssen Beschäftigte von Anfang an in die Gestaltung von Digitalisierungsprozessen eingebunden werden.

Strategische Entscheidungen zur Einführung neuer Technologien und Veränderungen in den Arbeitsprozessen werden in der Regel auf länderübergreifender Ebene des Topmanagements getroffen. Die Auswirkungen betreffen jedoch das gesamte Unternehmen. Um eine aktive Mitgestaltung Beschäftigter bei Digitalisierungsprozessen sicherzustellen, fordern wir auf EU-Ebene:

  • Aktive Einbindung und Mitbestimmung von Beschäftigten und deren Vertretungen bei der Einführung neuer digitaler Technologien, die Auswirkungen auf Arbeitsplätze, Arbeitsbedingungen und die Arbeitsorganisation haben.
  • Dies soll zum einen durch eine EU-Rahmenrichtlinie zur Unternehmensmitbestimmung in Absprache mit den Sozialpartnern erfolgen. Und zum anderen durch die Anwendung der Rahmenvereinbarung der europäischen Sozialpartner zu Digitalisierung auf nationaler, sektoraler und betrieblicher Ebene.
  • Beschäftigte brauchen ein Recht auf Qualifizierung sowie Um- und Weiterbildung im Zuge von Digitalisierungsprozessen, damit sie jene Fähigkeiten entwickeln können, die in einer digitalisierten Arbeitswelt erforderlich sind. Dafür braucht es eine strategische Personalplanung und Weiterbildungsagenda, in die die Belegschaftsvertretungen einzubinden sind.
  • Im Zuge der Einführung neuer digitaler Technologien am Arbeitsplatz müssen der Datenschutz und die Privatsphäre von Beschäftigten umfangreich und zu jeder Zeit sichergestellt sein.

Faire Arbeitsbedingungen in der Plattformwirtschaft europaweit regeln

Plattformarbeit ist eine neue Arbeitsform, die durch Digitalisierung entstanden ist. Mittels Mobiltelefon, App und Algorithmus vermitteln Online-Plattformen Dienstleistungen. Dazu gehören beispielsweise Zustellung, Übersetzung, Nachhilfe, Dateneingabe, Kinderbetreuung, Altenpflege oder Taxifahrten. Der Sektor boomt und die Prognosen sagen weiterhin ein rasantes Wachstum voraus.

In der EU arbeiten mehr als 28 Millionen Menschen über eine dieser digitalen Arbeitsplattformen, die längst über Ländergrenzen hinweg tätig sind. Im Jahr 2025 könnten es Schätzungen zufolge bis zu 43 Millionen sein.

Für die Plattformen, die sich als Vermittler:innen und nicht als Arbeitgeber:innen sehen, ist die Sache ein gutes Geschäft. Denn sie behalten Provisionen ein, ohne Sozialabgaben abzuführen, arbeitsrechtliche Standards einzuführen oder KV-Löhne bezahlen zu müssen. Die Beschäftigten sind nämlich nicht fest angestellt, sondern – so behaupten es zumindest die Plattformen – selbständig und somit für ihre Sozialversicherung und alle anderen Abgaben selbst verantwortlich.

Auf diesem Weg wird versucht, das geltende Arbeitsrecht zu umgehen. Es handelt sich nämlich sehr oft um Scheinselbständigkeit, zum Nachteil der Arbeitnehmer:innen. Sie können nur sehr bedingt entscheiden, wann sie arbeiten wollen, wie sie arbeiten, ob sie z.B. einen Auftrag überhaupt annehmen wollen und haben außerdem nicht die Möglichkeit, sich gewerkschaftlich zu organisieren.

Bereits Ende 2021 hatte die EU-Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformwirtschaft vorgelegt. Nach langen Verhandlungen und einem zähen Ringen gelang im Februar dieses Jahres eine Einigung zwischen dem EU-Parlament und den Mitgliedstaaten. Der ursprüngliche Kompromisstext wurde jedoch deutlich verwässert.

Bei der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht sind die Mitgliedstaaten nun umso mehr gefragt. Auch die österreichische Bundesregierung ist dringend aufgefordert, alle Schlupflöcher etwa beim Missbrauch freier Dienstverhältnisse zu schließen. Der Kampf gegen prekäre Arbeit und Scheinselbständigkeit im digitalen Raum ist also noch nicht beendet.

Um gute und faire Arbeitsbedingungen in der Plattformwirtschaft sicherzustellen, fordern wir auf europäischer bzw. nationaler Ebene:

  • Die ehrgeizige nationale Umsetzung der Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformwirtschaft, ein Verbot von Null-Stunden-Verträgen und Scheinselbständigkeit in allen Branchen sowie die Bekämpfung aller Arten von prekärer Arbeit.
  • Die Verankerung bzw. Verteidigung des Rechts auf Nichterreichbarkeit für alle Beschäftigten in allen Branchen.

Klare Spielregeln für die Anwendung von Künstlicher Intelligenz & Algorithmen in der EU schaffen

Der Begriff „Künstliche Intelligenz“ („KI“) wird für unterschiedliche technische Verfahren benutzt. Häufig wird auch von algorithmischer Entscheidungsfindung gesprochen. Es geht aber immer um mehr oder weniger selbstlernende Verfahren, die auf der Grundlage von Daten zu Aussagen (Vorhersagen, Entscheidungen) kommen, die also in dem zur Verfügung gestellten Datenmaterial Muster erkennen oder daraus Schlüsse ziehen.

Viele Unternehmen versprechen sich Kostenreduktion und Effizienzsteigerung durch den Einsatz von KI-Systemen. Aufgrund der damit einhergehenden Automatisierung und Beschleunigung der Arbeitswelt werden allerdings auch problematische Auswirkungen auf Beschäftigte, von Steigerung der Arbeitsintensität bis hin zum Verlust von Arbeitsplätzen, befürchtet. Ein weiterer Trend ist, dass Entscheidungen über Aufgaben von Algorithmen getroffen werden und Beschäftigte diese in hohem Arbeitstempo ausführen müssen. Derzeit sind die Auswirkungen eines umfassenderen Einsatzes von KI-Systemen auf die Arbeitswelt aber noch nicht vollständig abzuschätzen.

In Österreich gibt es derzeit noch keine spezifischen Regelungen zum Einsatz von KI. Um den Herausforderungen durch den Einsatz von KI-Systemen zu begegnen, hat die EU-Kommission Anfang 2021 den Entwurf für eine neue Verordnung vorgelegt: den „AI-Act“. Anfang 2024 haben sich nationale Regierungen und das EU-Parlament auf einen Kompromiss zum AI-Act geeinigt, der nun in Kraft treten kann.

Damit wird eine rechtliche Grundlage für die Entwicklung und den Einsatz von KI geschaffen und mögliche Risiken des Einsatzes derartiger Systeme werden minimiert. In der gesamten EU werden damit einheitliche Regeln für KI gelten.

Ein wichtiger Erfolg ist, dass in Zukunft alle KI-Systeme eine Risikobewertung durchlaufen müssen, bevor sie auf den EU-Markt gelangen. Auf Grundlage dieser Bewertung werden die Systeme in verschiedene Risikostufen unterteilt, die wiederum unterschiedlichen Regeln unterliegen. Besonders gefährliche KI-Systeme, beispielsweise die Desinformation verbreiten, sollen künftig ganz verboten werden. Dadurch werden Verbraucher:innen und Grundrechte gleichermaßen geschützt.

In dieser beschlossenen Verordnung sind jedoch keine speziellen Bestimmungen für die Arbeitswelt unter dem Blickwinkel der besonderen Schutzwürdigkeit von Beschäftigten enthalten. Das ist besonders kritisch zu betrachten und zeigt dringenden Handlungsbedarf auf.

Um klare Spielregeln für die Anwendung von KI in der Arbeitswelt sicherzustellen, fordern wir auf EU-Ebene:

  • Eine EU-Richtlinie als Ergänzung zum AI-Act, die den Einsatz von KI am Arbeitsplatz regelt und die Rolle der Sozialpartner dabei garantiert. Durch diese sollen Mindeststandards und unabhängige Kontrollmechanismen eingeführt sowie Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten gestärkt werden.
  • Beim Einsatz von KI muss die endgültige Entscheidung stets vom Menschen getroffen („Human-in-command“ – Ansatz) und jede KI generierte Aktivität von einem Menschen überwacht werden.
  • Einführung und Anwendung von KI-Systemen am Arbeitsplatz soll nur unter Beteiligung von und mit Zustimmung der Gewerkschaften und Belegschaftsvertretungen umgesetzt werden können.
  • Soziale Standards dürfen nicht untergraben werden. Wenn menschliche Arbeit durch KI ersetzt wird, soll dies nicht zu Arbeitsplatzverlusten führen, sondern sozialen Fortschritt bspw. in Form von kürzeren Arbeitszeiten ermöglichen.