2075: Gleichstellung endlich erreicht?
Der Gleichstellungsindex Arbeitsmarkt wurde 2015 das erste Mal erhoben und präsentiert. Seitdem hat sich die Schere zwischen den Einkommen um weniger als einen Prozentpunkt verbessert. Bleibt es bei dieser Geschwindigkeit wird im Jahr 2075 die Gleichstellung am Arbeitsmarkt erreicht. Eine ernüchternde Bilanz
Der Gleichstellungsindex Arbeitsmarkt wurde 2015 das erste Mal erhoben und präsentiert. Seitdem hat sich die Schere zwischen den Einkommen um weniger als einen Prozentpunkt verbessert. Bleibt es bei dieser Geschwindigkeit wird im Jahr 2075 die Gleichstellung am Arbeitsmarkt erreicht. Eine ernüchternde Bilanz.
Dieser Artikel erschien im Mitgliedermagazin KOMPETENZ, Ausgabe 1, Jännrt 2018
Autorin: Sandra Breiteneder
Die Gleichstellung von Männern und Frauen am Arbeitsmarkt wird in den Bereichen Arbeit, Einkommen, Bildung und Familie durch weitere Unterkategorien erhoben, um einen umfassenden Einblick in die Gleichstellung am Arbeitsmarkt zu erhalten. In Zahlen steht Österreich 2017 bei einer erreichten Gleichstellung von 71 Prozent. Die Messung nimmt an, dass bei 100 Prozent die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern erreicht ist.
Leichte Verbesserungen gab es zwischen 2015 und 2017 bei den Einkommen. Frauen erreichen hier durchschnittlich 69 Prozent der Männerwerte; eine Verbesserung um zwei Prozentpunkte. Frauen sind im Verhältnis zu Männern nach wie vor überdurchschnittlich im Niedriglohnbereich vertreten. Jede fünfte Frau in Österreich ist niedriglohnbeschäftigt, bei Männern ist es jeder zehnte. Insgesamt arbeiten in diesem Einkommensbereich (unter 1.500 Euro brutto) in Österreich „nur“ 13 bis 15 Prozent der Beschäftigten, das ist im internationalen Vergleich ein sehr gutes Abschneiden. (In Deutschland liegt der Anteil der Niedriglohnbeschäftigten bei 22,5 Prozent.) Hier ist allerdings anzumerken, dass Österreich bei den geschlechtsspezifischen Einkommensunterschieden im EU-Durchschnitt am vorletzten Platz liegt.
Hohe Kollektivvertragsdichte
Die Gründe, warum sowohl der Niedriglohnsektor in Österreich vergleichsweise klein ausfällt und sich in den letzten beiden Jahren die Ungleichheit im Einkommensbereich zwischen den Geschlechtern zumindest geringfügig verbesserte, sind die hohe Kollektivvertragsdichte in Österreich und die Anstrengungen der vergangenen Jahre, die kollektivvertraglichen Mindestgehälter über die Niedriglohngrenze zu heben. Dadurch werden die Gehälter Schritt für Schritt angeglichen und die Einkommensschere schließt sich – wenn auch nur langsam. Das strukturelle Problem, dass Frauen vermehrt in schlechter bezahlten Tätigkeiten arbeiten, bleibt aber nach wie vor bestehen.
Gleichheit durch Bildung?
Dass sich allein durch die bessere Qualifizierung und Ausbildung Gleichstellung einstellt, bleibt ein Mythos. Frauen erreichen bei der Qualifizierung 118 Prozent der Männerwerte. Das bedeutet, mehr Frauen schließen ihre Schulbildung mit Matura ab bzw. absolvieren ein Studium. Frauen nehmen auch überdurchschnittlich an Weiterbildungen teil. All das schlägt sich aber nicht automatisch in mehr Gleichstellung am Arbeitsmarkt nieder. Zusätzlich zu beachten ist auch, dass die Ausbildungslandschaft von Frauen auf alle Qualifikationen verteilt ist. So sind sie auch bei den Pflichtschulabschlüssen und bei den sogenannten NEETs (weder in Ausbildung noch in Training) stärker vertreten als Männer.
Stärkste Ungleichheit bei Betreuungspflichten
Nach wie vor ist die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern am stärksten in der Familie ausgeprägt. Von einer fairen Aufteilung ist die Realität nach wie vor weit entfernt. Hier erreichen Frauen nur 39 Prozent im Vergleich zu Männern. Vor allem bei der Karenz herrscht eine große Ungleichheit. Nur 19 Prozent der Männer nehmen eine Väterkarenz in Anspruch. Die Karenzzeiten von Männern sind auch kürzer als die von Frauen. Auch nach der Karenzzeit sind die Betreuungsaufgaben ungleich verteilt. 77 Prozent der Frauen mit betreuungspflichtigen Kindern unter 15 arbeiten Teilzeit, bei den Männern sind es nur 6,8 Prozent. Nach der Rückkehr aus der Karenz verdienen Frauen nur noch 81,2 Prozent ihres Einkommens von vor der Karenz, Männer hingegen 102,4 Prozent. Sie haben mit keinen Einkommenseinbußen durch die Karenz zu rechnen.
Gleichstellungspolitik nicht in Sicht
Die erhobenen Zahlen zeigen, dass es noch viel zu tun gibt und die Maßnahmen der vergangenen Jahre zwar geringfügige Veränderungen gebracht haben, aber große Durchbrüche noch weit entfernt sind. Die Benachteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt ist strukturell auf verschiedene Faktoren zurückzuführen. Das bedeutet auch, dass es nicht die eine richtige Maßnahme gibt, die diese Situation verändert. Um Frauen endlich gleichzustellen, braucht es eine Kombination von individueller Förderung und Bewusstseinsbildung und dem Aufbrechen von verkrusteten Strukturen.
Regierungsprogramm
Das Regierungsprogramm ist hier leider nicht zukunftsweisend. Im sehr kurzen Kapitel zu Frauen, wo auch die Familienmaterie mitbehandelt wird, ist vor allem eine ideologische Wende in der Frauenpolitik zu erkennen. So wird auf die besondere Rolle von Frauen in den Bereichen Erziehung, Bildung und Pflege hingewiesen. Hier manifestiert sich ein veraltetes und verstaubtes Rollenbild: Frauen sollen wieder vermehrt aus dem Arbeitsmarkt gedrängt werden. Einkommenstransparenz, Anrechnung von Karenzzeiten und die Forcierung von qualifizierter Teilzeitarbeit werden im Regierungsprogramm erwähnt, aber konkrete Maßnahmen dazu fehlen vollkommen. Die Gehaltsschere zwischen Frauen und Männern wird nicht angesprochen.
Konkret wird die neue Regierung derzeit nur beim sogenannten Familienbonus, einer Steuererleichterung von 1.500 Euro pro Kind. In der derzeitig diskutierten Ausgestaltung würden vor allem Männer und einkommensstarke Familien profitieren. Der Familienbonus ist daher eine Umverteilungsmaßnahme zugunsten höherer Einkommen. Ilse Fetik, die Frauenvorsitzende der Gewerkschaft GPA, stellt hierzu fest: „Eine familienpolitische Maßnahme, die bei allen Kindern ankommt, sind Investitionen in eine flächendeckende, qualitativ hochwertige, ganztägige und leistbare Kinderbetreuung. Die veranschlagten 1,2 Milliarden Euro hierfür zu investieren, würde zu nachhaltigeren und tatsächlich kinder- und familienfreundlichen Resultaten führen.“ Die Bundesregierung versäumt es also völlig, Maßnahmen zur Gleichstellungspolitik zu setzen und arbeitet sogar in die gegenteilige Richtung. Damit rückt die Gleichstellung zwischen Männern und Frauen in weite Ferne, vielleicht sogar weiter weg als das Jahr 2075.