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Kampfmaßnahmen und Streik
Streik und die Teilnahme an einem Streik sind in Österreich verfassungsrechtlich geschützt!
Artikel 11 der Menschenrechtskonvention garantiert das Recht, Gewerkschaften zu bilden. Zu diesem Recht gehört es auch, in wichtigen Fällen Kampfmaßnahmen zu setzen.
Artikel 8 des Internationalen Paktes über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, dem Österreich beigetreten ist, gewährleistet sogar ausdrücklich ein Streikrecht.
Daraus folgt klar, dass die Teilnahme an einem kollektiv organisierten Streik nicht zu einer Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten führt. Eine aus diesem Grund ausgesprochene Entlassung wäre daher rechtswidrig. Dass ein Betrieb tatsächlich eine Entlassung oder Kündigung ausspricht, ist unwahrscheinlich, auch wenn es immer wieder Versuche in diese Richtung gibt, die allerdings im Regelfall durch die jeweiligen Fachgewerkschaften für ihre Mitglieder erfolgreich bekämpft werden können.
In einem solchen Fall würden sämtliche rechtlichen Mittel, wie zB eine Entlassungsanfechtung für Gewerkschaftsmitgliederausgeschöpft. Auch Noch-Nicht-Mitglieder können eine Entlassung anfechten, müssen deren Kosten allerdings selbst tragen. Abgesehen davon sind bei einer Entlassung die Beendigungsansprüche sofort zu bezahlen.
Außerdem müssten Betriebe, die dadurch versuchen, ein Verfassungsrecht zu brechen, damit rechnen, dass der Streik in ihrem Betrieb so lange fortgesetzt wird, bis die Entlassung zurückgenommen ist. Und selbstverständlich würden die betroffenen Betriebe auch in der Öffentlichkeit wegen ihres Verhaltens gegenüber unseren Rechten als Lohnabhängige an den Pranger gestellt werden, was Kampagnen unserer Gewerkschaft GPA bewiesen haben. So konnten bei KiK und Schlecker die Entlassungen von Kolleg*innen, die einen Betriebsrat gründen oder für diesen kandidieren wollten, verhindert bzw. rückgängig gemacht werden.
Die Vorbereitung und Durchführung von Kampfmaßnahmen, wie etwa eine zeitlich unbefristete Betriebsversammlung (die von Interventionen auf politischer Ebene und Aktionen im öffentlichen Raum begleitet sein kann) oder ein Streik stellen immer hohe Anforderungen an die Mobilisierungs- und Organisationsfähigkeit einer Belegschaft. Basis für erfolgreiche Kampfmaßnahmen ist einerseits die Fähigkeit der Kolleginnen und Kollegen, ihre Interessen selbst wahrzunehmen und andererseits eine gute Abstimmung und Vorbereitung des Zusammenwirkens mit der Gewerkschaft sowie in den meisten Fällen auch ein hoher gewerkschaftlicher Organisationsgrad (Anteil der Gewerkschaftsmitglieder an der Belegschaft).
Gleichzeitig können solche Maßnahmen nicht ohne die aktive Beteiligung der Belegschaft erfolgreich sein. Form, Dauer und Ziel müssen auf Betriebsversammlungen gemeinsam und demokratisch festgelegt werden. Ebenso muss eine Betriebsversammlung zur Durchführung ein Aktions- bzw. Streikkomitee wählen, das unter bestimmten Bedingungen von der Betriebsversammlung abwählbar ist.
Auch über die Annahme allfälliger Kompromisse bei Verhandlungen und damit ein Ende der Maßnahmen kann und darf nur die Belegschaft selbst auf einer Betriebsversammlung entscheiden.
Letztlich müssen die für die Durchführung verantwortlichen Kolleg:innen laufend in Kontakt mit der gesamten Belegschaft stehen; sonst wird sich diese nicht an den Aktionen beteiligen.
Wesentlich beim Einsatz aller Instrumente, die uns als Beschäftigten zur Verfügung stehen, insbesondere wenn wir gezwungen werden, Kampfmaßnahmen bis hin zum Streik zu erwägen, ist ein mehrstufiger Plan mit unterschiedlichen Szenarien, der weit vor einem einzigen Streiktag beginnt, aber auch darüber hinausreicht und weitere Schritte zur Steigerung des Kampfes im Sinne einer Eskalationsstrategie bereithält.
BEISPIEL 10: Streik gegen den (Psycho-)Sozialabbau
In zwei oberösterreichischen Sozialvereinen wurde im Dezember 2010 ein Warnstreik durchgeführt. Am 14. Dezember fand in Linz eine gemeinsame Betriebsversammlung im öffentlichen Raum statt, bei der über 1.200 Menschen lautstark demonstrierten.
Die Vorgeschichte: Am 29. Oktober gab die Sozialabteilung (Sozialreferent Ackerl, SPÖ) bekannt, dass das Budget 2011 für die psychosozialen Beratungsstellen, Krisendienste und Freizeiteinrichtungen in den Vereinen pro mente Oberösterreich, EXIT-sozial und Arcus Sozialnetzwerk um 33% gekürzt werde. Dies sei wegen der „budgetären Situation des Landes“ erforderlich. Von den politisch Verantwortlichen wurde betont, dass es keine Alternativen gäbe und auch sie gezwungen seien, die Vorgaben umzusetzen.
Diese schwache Argumentation wurde nicht geschluckt: Die Betriebsratsgremien von pro mente und Exit-sozial beriefen am 22. November eine gemeinsame (Teil-)Betriebsversammlung ein, auf der ein Streikbeschluss für die Betriebsteile, die von der Budgetkürzung und den damit verbundenen 113 in Aussicht gestellten Kündigungen betroffen waren, gefasst wurde.
Martin Herzberger, damaliger Zentralbetriebsratsvorsitzender von pro mente OÖ, die mit zu dieser Zeit 1.300 Beschäftigten, die in ca. 200 Dienststellen in ganz Oberösterreich arbeiten, einer der größten Sozialbetriebe Österreichs ist, im Interview:
Was war das Ziel eures Warnstreiks?
Martin Herzberger: Wir wollten damit Druck auf die Arbeitgeber:innen ausüben. Das Streikziel war klar: Keine Kündigungen! Das Ziel der gemeinsamen Betriebsversammlung im öffentlichen Raum (in Form einer Kundgebung und Demonstration) war es, Aufmerksamkeit zu schaffen und Druck auf das Land Oberösterreich auszuüben, damit diese gravierenden Einschnitte zurückgenommen werden.
Wie habt ihr den Streik vorbereitet?
Nach dem Streikbeschluss auf der Betriebsversammlung wurde der Streikfonds des ÖGB vom Präsidium der GPA-djp freigegeben. In den Betrieben wurden Streikleitungen gebildet, die gemeinsam mit der Landesstreikleitung der GPA-djp die notwendigen weiteren formalen Schritte in die Wege leiteten. So wurden die Streikorte, die Streikposten und der genaue Streikablauf festgelegt. Bei pro mente OÖ wurden insgesamt 41, bei EXIT-sozial 8 Standorte bestreikt.
Über „Streikinfos“ per Mail und persönliche Besuche durch Betriebsratsmitglieder in den Teams wurden die Beschäftigten regelmäßig informiert.
Was ist dann während des Streiks passiert?
Nach dem Eintreffen der Kolleg:innen in der Einrichtung wurden Streiktransparente und -informationen ausgehängt. Gestärkt durch ein gemeinsames Streikfrühstück, welches Sekretär:innen der GPA-djp und des ÖGB organisiert hatten, wurden Transparente gemalt, Plakate gestaltet und so die Mahnwachen/Infostände bzw. die Betriebsversammlung vorbereitet. Nachmittags fanden die Mahnwachen mit Unterschriftensammlung auf der Straße statt.
War es schwierig, die Kolleg:innen zum Streik zu motivieren?
Nein, auf der Betriebsversammlung hat die absolute Mehrheit für den Warnstreik gestimmt, es gab keine Streikbrecher:innen! Auch Kolleg:innen aus nicht vom Streik betroffenen Einrichtungen nahmen bei Mahnwachen teil und auch solche, die eigentlich ihren freien Tag hatten.
Gab es das Argument „Das geht ja nicht, da leiden die Klient:innen darunter“?
Nein. Es wurde ein Krisendienst für Notfälle eingerichtet, der mit 2 MitarbeiterInnen besetzt war. Die Anrufbeantwortertexte der bestreikten Einrichtungen haben auf diese Krisenhotline hingewiesen.
Wie war die Resonanz der Klient:innen auf den Streik?
Sie waren durchwegs sehr solidarisch mit den Streikenden. Es waren sogar Klient:innen bei Demos mit dabei.
Wie sah es mit der Unterstützung von außen aus?
Von anderen Betriebsratskörperschaften hätte ich mir ein bisschen mehr Solidarität, also Solidaritätserklärungen und eine Teilnahme an der Demonstration gewünscht.
Die Unterstützung der Gewerkschaft, vor allem der GPA-djp Oberösterreich, war ausgezeichnet – organisatorisch und auch inhaltlich.
Die Kolleg:innen der pro mente Reha haben sich 2017 auch erneut lautstark zu Wort gemeldet, als dieser Betrieb Kollektivvertragsflucht beging, also in einen schlechteren Kollektivvertrag wechseln wollte, und sind mit Unterstützung der IG Social gegen die sich daraus ergebenden Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen aufgestanden.
BEISPIEL 11: Kita-Streik in Deutschland
Ein besonders beeindruckendes Beispiel für die Kampfbereitschaft der Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialbereich war der Streik in den deutschen Kindertagesstätten (Kitas) 2009. Der Kita-Kollektivvertragskonflikt hat sich über ein halbes Jahr hingezogen. Die Verhandlungen hatten im Jänner begonnen, waren aber im April gescheitert. Seit Mai waren die weiteren Gespräche immer wieder von Streiks in kommunalen Kindertagesstätten begleitet worden.
Bei der Urabstimmung hatten sich 90 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder für Kampfmaßnahmen ausgesprochen. Ab dann hatten sich viele tausend Kolleg:innen an den Streiks beteiligt. Nach monatelangen Verhandlungen wurde der Konflikt beigelegt. Im Schnitt bekamen die Padagog:innen danach 120 Euro (bei einer damals viel niedrigeren Inflation) mehr pro Monat.
Während der monatelangen Auseinandersetzung war es mehrfach zu flächendeckenden Streiks in ganz Deutschland gekommen. Von den insgesamt rund 365.000 Beschäftigten in Kindertagesstätten arbeitet rund ein Drittel in öffentlichen Einrichtungen. Die Verhandlungen wurden neben diesen 128.000 Beschäftigten auch für rund 90.000 Mitarbeiter:innen in Sozial- und Jugendämtern sowie in der Arbeits- und Berufsförderung geführt.
Der Arbeitskampf der Pädagog:innen und Sozialarbeiter:innen zeigt, dass eine Gewerkschaft auch in Krisenzeiten für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen kämpfen kann. Dieser konkrete Streik nahm von Anfang an einen politischen Charakter an und war an die Forderungen nach besserer Kinderbetreuung und einem besseren Bildungssystem gekoppelt. In etlichen Orten solidarisierten sich Schüler:innen und Student:innen mit dem Arbeitskampf, so zB in Stuttgart, wo sie sich an der Demonstration von rund 2.000 streikenden Pädagog:innen beteiligten. Deren Kampfbereitschaft überraschte, gehören sie doch nicht zu den traditionell kampferprobten Bereichen der Arbeiter:innenklasse. Insgesamt beteiligten sich 150.000 Kolleg:innen an Streiks und Demonstrationen.
Wochenlang hatten die Beschäftigten in den Erziehungs- und Sozialberufen einen langen Atem bewiesen und gekämpft. Sie haben dem Druck von Presse und Politik standgehalten und nicht zuletzt auch finanzielle Einbußen erlitten. Der Streikwille sei ungebrochen, hieß es bis zuletzt von den zuständigen Gewerkschaften ver.di und GEW.
Trotz (verständlicherweise) oftmals entnervter Eltern, die die unmittelbaren Folgen dieser Arbeitsniederlegungen auffangen mussten, dominierten über den gesamten Zeitraum der Auseinandersetzung in der Bevölkerung und auch unter den Eltern Sympathie und Unterstützung für die kämpfenden Beschäftigten. Der Streik hat dazu geführt, dass die Frage der Kindererziehung und -bildung für Wochen in den Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit und der öffentlichen Debatte gerückt ist. Der Arbeitskampf wurde sehr offensiv geführt – es gab hunderte Aktionen, um die Eltern selbst zu erreichen. Videos und Homepages wurden erstellt, um die Öffentlichkeit eigenständig zu informieren.
Trotz des Erfolges wurde der Abschluss von vielen Beschäftigten auch kritisch gesehen. Man habe sich zu früh geeinigt bzw. die sich anbahnenden Solidaritätsstreiks der anderen Branchen nicht genutzt. Die während des Streiks zahlreich entstandenen Aktions- bzw. Streikkomitees zur Organisierung der Kampfmaßnahmen blieben teilweise über Jahre bestehen und sind bis heute bereit, an die Erfahrungen aus diesem Streik anzuknüpfen.
Das Verantwortungsgefühl gegenüber den Menschen, mit denen wir arbeiten, hindert uns oft daran, uns für unsere eigenen Bedürfnisse einzusetzen. Dieser Streik ist ein gutes Beispiel dafür, dass Kampfmaßnahmen bis hin zum Streik trotz (oder genau genommen gerade wegen) unserem hohen Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Klient:innen möglich sind und von der Bevölkerung solidarisch unterstützt werden.
Eltern, Angehörige, Patient:innen usw. sind meist selbst auch Lohnabhängige, die jeden Kampf um bessere Arbeitsbedingungen mit großer Sympathie verfolgen. Doch dazu muss ein Streik offensiv geführt und in die Öffentlichkeit getragen werden. Eine gegenseitige Solidarisierung von Streikenden und Klient:innen ist das Ziel. So kann sich die Belegschaft darauf einigen, bestimmte Tätigkeiten nicht auszuführen und den Klient:innen trotzdem zur Verfügung zu stehen. Denn auch diese haben ein Interesse daran (und das Recht darauf), gute, qualitativ hochwertige Leistungen in Anspruch nehmen zu können. Die aber gibt es nur, wenn es gute Arbeitsbedingungen gibt.
BEISPIEL 12: Betriebsbesetzung in einem griechischen Krankenhaus
Gekürzte Originaltexte ohne Kommentar
Resolution der Vollversammlung der Beschäftigten des Allgemeinen Krankenhauses von Kilkis vom 5. Februar 2012
„Die Arbeiter:innen des Allgemeinen Krankenhauses von Kilkis, Ärzt:innen, Pflegekräfte und der Rest der Belegschaft, die an der Vollversammlung teilgenommen haben, beschließen:
1. Wir stellen fest, dass die gegenwärtigen und anhaltenden Probleme des E.S.Y. (Nationales Gesundheitssystem) [...] Teil einer viel weiterreichenden, generell gegen die Bevölkerung gerichteten Regierungspolitik und einer dreisten globalen neoliberalen Politik sind. [...]
5. Die Beschäftigten des Allgemeinen Krankenhauses von Kilkis antworten auf den zunehmenden Totalitarismus mit Demokratie. Wir besetzen das öffentliche Krankenhaus und stellen es unter unsere direkte und umfassende Kontrolle. Das Krankenhaus von Kilkis wird fortan selbst organisiert sein und die einzig legitime Macht, um Verwaltungsentscheidungen zu treffen, wird die Allgemeine Belegschaftsvertretung sein.
6. Falls die Regierung weiterhin ihre Verpflichtungen gegenüber dem Allgemeinen Krankenhaus ignorieren sollte, werden wir gezwungen sein, die Öffentlichkeit darüber zu informieren und die Lokalregierung zur Unterstützung auffordern. Aber wesentlich wichtiger wird es sein, dass uns die Bevölkerung auf jede erdenkliche Weise unterstützt: (a) damit unser Spital überleben kann; (b) damit das Recht auf eine öffentliche und freie Gesundheitsversorgung gesichert ist; [...]
7. Die Gewerkschaft der Beschäftigten des Krankenhauses von Kilkis beginnt mit dem 6. Februar, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Es werden aber nur Notfälle in unserem Spital behandelt, bis schließlich alle Arbeitsstunden bezahlt wurden und unsere Gehälter wieder auf dem Niveau sind, auf dem sie waren, bevor die Troika (EU – EZB – IWF) eintraf. In der Zwischenzeit – wohl wissend, was unsere gesellschaftliche Mission und unsere moralische Pflicht ist – werden wir die Gesundheit der Bürger:innen schützen, die in unser Spital kommen und allen freie medizinische Behandlung gewähren, die diese benötigen.
8. Wir haben beschlossen, dass am Montag, dem 13. Februar, in der Halle des neuen Gebäudes des Krankenhauses um 11 Uhr eine neue Generalversammlung stattfinden wird, um die Verfahren festzulegen, die notwendig sind, um [...] die Selbstorganisation des Krankenhauses zu realisieren, welche an diesem Tag beginnen wird. Die Generalversammlung wird täglich stattfinden und die höchste Institution sein, um Entscheidungen hinsichtlich des Personals und des Krankenhausbetriebs zu treffen.
Wir rufen
- unsere Kolleg:innen in anderen Spitälern dazu auf, es uns gleich zu tun.
- die Beschäftigten in anderen Bereichen des öffentlichen und privaten Sektors [...] dazu auf, unserem Beispiel zu folgen, damit unsere Mobilisierung zu einem umfassenden Widerstand der Arbeiter:innen und der Bevölkerung wird und zu einem Aufstand gegen die wirtschaftliche und politische Elite, die heutzutage unser Land und die ganze Welt unterdrückt.“
Nachricht eines Mitglieds der Generalversammlung der Arbeiter:innen des besetzten städtischen Krankenhauses in Kilkis vom 01. März 2012
Grüße an euch alle!
Vielen Dank für euer Interesse und eure Unterstützung. Die Besetzung unseres Spitals in Kilkis durch die Beschäftigten begann am Montag den 20. Februar um 8 Uhr 30.
Bei dieser Besetzung geht es nicht nur um uns, die Beschäftigten des Krankenhauses von Kilkis. Es geht auch nicht nur um das öffentliche Gesundheitssystem in Griechenland, das vor dem Zusammenbruch steht. Wir befinden uns in diesem Kampf, weil mittlerweile die Menschenrechte und unsere Leben in Gefahr sind. [...] Was heute in Griechenland passiert, ist der Spiegel für die Zukunft Portugals, Spaniens, Italiens und aller anderen Länder auf der Welt.
Die Beschäftigten des Krankenhauses in Kilkis und in den meisten anderen Krankenhäusern und Gesundheitszentren in Griechenland erhalten ihren Lohn nicht rechtzeitig, viele sehen ihre Löhne und Gehälter praktisch auf null hinuntergedrückt. Einer meiner Kollegen wurde in die kardiologische Abteilung versetzt, wo er nun statt der bisher üblichen 800 Euro (ja, das ist sein Monatsgehalt) die Nachricht erhielt, dass er in diesem Monat kein Gehalt bekommen würde, außerdem sei er noch verpflichtet 170 Euro an den Staat zurückzuzahlen! Andere Kolleg:innen bekamen nur 9 (neun) oder 4 (vier) Euro für diesen Monat ausbezahlt! Jene unter uns, die noch ein Gehalt ausbezahlt bekommen, werden versuchen, diese Kolleg:innen so gut es geht zu unterstützen. [...]
Die Kredite an Griechenland werden nicht zur Auszahlung von Gehältern, Pensionen und öffentlichen Dienstleistungen aufgewendet. Es passiert das genaue Gegenteil: Bei den Gehältern, Pensionen und den öffentlichen Dienstleistungen wird gekürzt, damit das Geld an die Banken gezahlt werden kann. [...]
Wenn es für euch irgendwelche Möglichkeiten gibt, die Nachricht über unseren Kampf zu verbreiten, dann wäre das eine große Hilfe für uns! Wir können uns nicht genug für eure Gedanken und Worte bedanken. Eure Solidarität ist von großer Bedeutung für uns.
Eure
Leta Zotaki,
Direktorin der radiologischen Abteilung des Krankenhauses von Kilkis, Mitglied der Allgemeinen Versammlung der Beschäftigten, Präsidentin der E.N.I.K. (Gewerkschaft der Ärzt:innen im Nationalen Griechischen Gesundheitssystem von Kilkis).
BEISPIEL 13: Der Kampf um die 35-Stundenwoche in der österreichischen Sozialwirtschaft
Nachdem bei den Kollektivvertragsverhandlungen 2017 erstmals die Einführung der 35-Stundenwoche bei vollem Lohn- und Personalausgleich gefordert wurde, wurde als Ergebnis eine Verhandlung über diese im Sommer 2017 vereinbart. Mehrere Verhandlungsrunden führten zu keinen konkreten Ergebnissen außer einer gemeinsamen Enquete mit hochrangigen Expert:innen im Herbst dieses Jahres, deren Ergebnis aus gewerkschaftlicher Perspektive die Notwendigkeit der sofortigen Umsetzung dieser Forderung war.
Die wesentlichen Argumente dafür können folgendermaßen zusammengefasst werden: Die aktuell beschäftigten Kolleg:innen können aufgrund der massiv gestiegenen Arbeitsintensität nicht mehr so lange arbeiten. Der absehbare (uns seither offensichtlich) gewordene massive Personalmangel kann nur bekämpft werden, indem die Arbeit in der Branche durch kürzere Arbeitszeit wieder attraktiv gemacht wird.
Dementsprechend rechnete das Verhandlungsteam mit harten Bandagen zu diesem Thema im Rahmen der Kollektivvertragsverhandlungen für 2018. Tatsächlich haben diese dann de facto gar nicht stattgefunden, da ein Teil des Kompromisses für die Verhandlungen über die Arbeitszeitverkürzung im Sommer 2017 die Zustimmung zu einem 2-Jahres-Abschluss beim Gehalt gewesen war, was die Verhandler:innen der Sozialwirtschaft weidlich ausnutzten und echte Verhandlungen verweigerten.
Die Forderung der Einführung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich wurde seither jedes Jahr aufrechterhalten. Bei den Verhandlungen für 2018 kann die Reaktion der anderen Seite mit der Formulierung „Ihr habt das wirklich ernst gemeint? Das haben wir nicht geglaubt.“ zusammengefasst werden.
Nun war es endgültig Zeit geworden, zu gewerkschaftlichen Maßnahmen zu greifen. Nach Jahren der Diskussion über die Möglichkeit von Streiks in der Sozialwirtschaft, die sich immer wieder um die Frage gedreht hatten, ob wirklich überall flächendeckend gestreikt werden kann, konnte sich die realistische Position durchsetzen, dass zuerst dort mit Kampfmaßnahmen begonnen wird, wo es möglich ist und auch die Dauer von den jeweiligen betrieblichen Möglichkeiten abhängig gemacht wird.
Der Beschluss über die Freigabe des Streikfonds war schnell eingeholt und so kam es am 15. und 16.02.2018 erstmals in der Geschichte des SWÖ-Kollektivvertrags zu Streiks an denen insgesamt über 40.000 Kolleg:innen beteiligt waren. Selbst die langjährigen Befürworter:innen von Arbeitsniederlegungen im Gesundheits- und Sozialbereich waren davon mehr als nur positiv erstaunt. Doch selbst das sollte nicht reichen und so kam es schließlich unter dem Druck zahlreicher Chefitäten, der es vielen Kolleg*innen verunmöglichte mehr oder länger zu streiken und sich dementsprechend auch auf deren Betriebsrät:innen auswirkte, zu einem Abschluss ohne Arbeitszeitverkürzung. Dieses Spiel sollte sich 2019 erneut wiederholen. An den Streiks von 12. bis 14. Februar 2019 beteiligten sich noch mehr Kolleg:innen als im Jahr zuvor und viel mehr Betriebe – selbst solche, in denen sich die Betriebsrät:innen noch Wochen zuvor sicher gewesen waren, dass es „bei uns nie im Leben zu einem Streik kommen wird“.
2018 und 2019 waren die Streiks selbstverständlich auf zahlreichen Betriebsversammlungen beschlossen und organisiert worden. Österreichweite Betriebsrät:innenkonferenzen, Aktionstage, eine Vielzahl an Betriebsversammlungen und Demos in mehreren Landeshauptstädten rundeten die Aktivitäten ab, welche ihren Niederschlag in einer überwältigend positiven Berichterstattung in den Massenmedien fanden.
2020 gab es dann sogar drei (geplante) Streikwellen: 11.-13.02.2020, 26.-28.02. und 10.-12.03. Und dann kam die Pandemie … Wie aus heiterem Himmel setzte die Regierung am ersten Tag der geplanten dritten Streikwelle eine Reihe von Maßnahmen zur Bekämpfung von COVID-19 um, die zunächst so interpretiert wurden, dass auch Betriebsversammlungen, Kundgebungen, Demos usw. unzulässig wären, was sich im Nachhinein als falsch herausstellte.
Da diese Maßnahmen allerdings dazu führten, dass die im Zusammenhang mit dem internationalen Frauenkampftag für den 10.03. geplanten Demonstrationen in mehreren Landeshauptstädten abgesagt und die teilweise schon begonnenen Streiks unterbrochen wurden, ist durchaus nicht auszuschließen, dass es sich dabei um einen bewussten Versucht handelte, eine Streikwelle, die gerade so richtig Fahrt aufnahm, zu brechen.
Wie der dann einsetzenden politische, mediale und öffentliche Rummel um uns „Systemerhalter:innen“ und „Held:innen der Krise“ zeigte, hatten die politisch Verantwortlichen wohl allen Grund, sich vor weiteren Kampfmaßnahmen zu fürchten. Gerade mitten in der Pandemie hätte es wohl niemand politisch überlebt, der:die uns während dieser zu Kampfmaßnahmen gezwungen hätte, indem er:sie unsere Forderungen nicht finanziert hätte.
Daraus können und müssen wird lernen. Denn selbst ohne weiteren Streik haben wir immerhin die 37-Stundenwoche durchgesetzt – allerdings ohne Lohn- und Personalausgleich. Und vor allem haben wir Beschäftigten in der Sozialwirtschaft bewiesen, dass wir streiken können, dass wir sogar zu einer Streikwelle imstande sind und andere mitreißen können. 2020 haben sich nämlich erstmals in der Geschichte auch Caritas und Diakonie im Rahmen ihrer Kollektivvertragsverhandlungen den Kampfmaßnahmen angeschlossen.
BEISPIEL 14: Ein Krankenhaus unter Arbeiter:innenkontrolle
Wenn wir von Cordoba schreiben, dann geht es nicht um das Skandalspiel gegen Österreichs Lieblingsgegner bei der Fußball-WM 1982 und auch nicht um das geschichtsträchtige 3:2 gegen Deutschland bei der WM 1978 in Argentinien. Es geht aber sehr wohl um die Stadt, in welcher dieses stattgefunden hat – Cordoba in Argentinien also. Aber die Geschichte beginnt erst 24 Jahre später.
Im Dezember 2000 waren in Argentinien die sog. revolutionären Tage ausgebrochen, als die Regierung die Sparguthaben eingefroren hatte. Die Wirtschaft lag am Boden und innerhalb von nur zwei Monaten wurden drei Präsidenten im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Amt gestreikt bzw. demonstriert. Wir Gewerkschafter:innen in Österreich hätten uns auch solch eine Streikwelle gewünscht, um die verhasste schwarzblaue Regierung loszuwerden, doch leider blieb die legendäre Donnerstagsdemonstrationsbewegung ohne Unterstützung aus den Betrieben.
Doch in Argentinien haben viele Menschen ihr Schicksal in die eigenen Hände genommen. In Betrieben, wo es nicht mehr so weitergehen konnte, wie bisher, haben sie die Bosse verjagt und die Betriebe unter eigener Kontrolle und Verwaltung fortgeführt – heute sind es noch immer über 300 in Argentinien, doch die Welle der Betriebsbesetzungen unter Arbeiter:innenkontrolle hat nahezu ganz Lateinamerika erfasst. Meist waren die betroffenen Betriebe von den Bossen fast in den Konkurs geritten worden – unter der demokratischen Leitung der Beschäftigten geht es fast allen davon nun trotz massiver Repression, die manche Belegschaften in Anbetracht der staatlichen Gewalt zum Aufgeben zwang, deutlich besser.
Und genau solch einen Betrieb gibt es auch im Sozial- und Gesundheitsbereich – das Krankenhaus von Cordoba. Dieses war ursprünglich im Privatbesitz und wurde dann von den Beschäftigten angeeignet. Heute funktioniert die „Cooperativa de Trabajo de la Salud Junín“ als Gesundheitsgenossenschaft mit sozialmedizinischem Ansatz. Als 2002 die Schließung der Klinik drohte wurde diese Genossenschaft von den Angestellten gegründet.
Das Missmanagement des Unternehmens und der gezielte Entzug von Kapital durch die Besitzer:innen hatten die Klinik in eine tiefe Krise gestürzt. Sie hatte enorme Schulden und sah sich zahlreichen Konflikten und Gerichtsverfahren mit Lieferant:innen wegen nicht erfolgter Zahlungen ausgesetzt. In dieser Situation ergriff das Management Maßnahmen, die auf eine Schließung des Krankenhauses abzielten. Gleichzeitig sollte damit die Auszahlung der ausständigen elf Monatsgehälter der Beschäftigten vermieden werden.
Mehrere Verhandlungen im von der Belegschaft eingeschalteten Arbeitsministerium der Provinz führten zu keiner Lösung. Angesichts der Haltung des Unternehmens und der Notsituation der Beschäftigten beschlossen diese daher, dem Beispiel anderer Lohnabhängiger in Argentinien in einer ähnlichen Situation zu folgen.
Tausende von ihnen entschlossen sich nämlich, nachdem sie tagtäglich die Vernichtung ihrer Arbeitsplätze erleben mussten, ihre Betriebe zu besetzen und sie als Kooperativen wieder funktionsfähig zu machen. Auch die Belegschaft der Clïnica Junín, sah darin einen Ausweg aus ihrer schwierigen Situation. Ab 13. Juni 2002 wurden schließlich medizinische Leistungen in dieser neuen Rechtsform angeboten.
Parallel dazu wurden juristische Schritte gegen die Besitzer:innen eingeleitet, die dem Krankenhaus bewusst Kapital entzogen hatten und dadurch Arbeitsplätze vernichteten. Es wurde also ein Strafverfahren wegen betrügerischer Misswirtschaft eingeleitet. Ebenso klagten die Kolleg:innen ihre ausstehenden Gehälter ein und pfändeten das Gebäude als Bürgschaft dafür. Darüber hinaus wurde dem Provinzparlament ein Gesetzesentwurf zur Enteignung vorgelegt. Schließlich erreichten die Kolleg:innen, dass der Gemeinderat das vom Klinikunternehmer auf der Flucht verlassene Gebäude 2005 als gemeinnützig erklärte und infolgedessen seine Enteignung beschloss.
In der Folge ist den Kolleg:innen die operative Weiterentwicklung des Projekts gelungen, so dass es heute den Lebensunterhalt von ca. 100 Familien sichert. Die demokratisch gewählte Unternehmensführung, die auf Transparenz basiert, hat die Zahlungsfähigkeit des Betriebes wiederhergestellt und das Angebot erweitert. Infolgedessen besteht momentan eine weit gefächerte medizinische Grundversorgung: Sprechstunde mit Ärzt:innen aller Fachrichtungen, inkl. Psycholog:innen- und Zahnärzt:innen-Praxis, Physiotherapie, Krankenpflege, Suchtberatung (Alkohol, Tabak, illegale Substanzen), Notdienst rund um die Uhr und darüber hinaus auch eine juristische Beratungsstelle.
Folglich besteht jetzt eine unbürokratische und kostengünstige Alternative für Menschen, die sich sonst keine oder aber nur eine eingeschränkte Gesundheitsversorgung leisten könnten. Die Kolleg:innen haben auch eine Art eigener Krankenversicherung etabliert. Dieser „Gesundheitstarif“ ermöglicht es Familien für 15 Pesos (ca. vier Euro) pro Monat alle Angebote des Krankenhauses in Anspruch zu nehmen und berechtigt weiters zu Rabatten in Apotheken, bei Optiker:innen u.ä. Dieser Tarif beträgt nur 10-15% der bei Versicherungsgesellschaftlichen üblichen Preise und ist mithin sehr günstig.
Ohne die Unterstützung aus der Gesellschaft wäre die so geschaffene Versorgung von 4.000 Patient:innen im Monat aber nicht möglich gewesen. Viele tragen dazu bei, dass das Motto der Beschäftigten „Zur Verteidigung von Gesundheit und Arbeit“ kein leeres Versprechen bleibt, auch wenn noch immer weite Teile des Gebäudes, die künftig für die stationäre Behandlung genutzt werden sollen, ungenutzt sind. In ihrem Kampf haben die Kolleg:innen aber auch erkannt, dass es sich bei dem, was sie tun, um keine karitative Aufgabe, sondern um einen politischen Akt handelt. Sie haben erkannt, dass das herkömmliche private Gesundheitsmodell überhaupt erst zu ihrer Situation geführt hat und wollen daher eine Alternative zu diesem aufbauen!
Das zeigt sich z.B. daran, dass Gesundheitsversorgung im Wesentlichen auch als Prävention verstanden wird. Weiters werden die Einnahmen nach dem Grundsatz der Gleichheit (Deckung der Lebenshaltungskosten) verteilt, es werden keine Manager:innengehälter bezahlt. Darüberhinausgehende Einnahmen werden in den Ausbau des Angebotes und damit die Schaffung neuer Arbeitsplätze gesteckt. Laufende Fort- und Weiterbildung für alle Beschäftigten im Sinne der Qualitätssicherung ist selbstverständlich.
Der Kulturbereich der Kooperative dient sowohl als alternativer Kulturraum für jene, die sonst keine Möglichkeit zur Verbreitung ihrer kreativen Erzeugnisse haben, als auch für therapeutische Zwecke im Sinne der Prävention und Genesung. Doch auch die erhaltene gesellschaftliche Unterstützung soll zurückgegeben werden. So werden z.B. Risikogruppen unterstützt und es gibt Spenden für Volksküchen aus den Einnahmen.
Besonders wichtig für die Beschäftigten der Klinik in Cordoba (wie für zigtausende Beschäftigte in anderen Betrieben unter Arbeiter:innenkontrolle) ist aber die Erfahrung, dass sie in der Lage sind, ihre Unternehmen ohne Chef:innen zu führen und das sogar deutlich besser – ein Modell, das auch in weiten Teilen der Gesellschaft auf positive Resonanz stößt.
Weitere Ideen:
- Urabstimmung
- Flugblattaktionen
- Flashmobs
- Betriebsversammlung mehrmals unterbrechen und innerhalb kurzer Zeit wieder fortsetzen, um dem Betrieb die Planbarkeit zu erschweren
- Besetzung von Betrieben, Betriebsteilen oder den Büros der Geschäftsführungen
- systematische Medienkampagnen durch Leser:innenbriefe
Unterstützungsangebote der Gewerkschaft GPA:
- Organisatorische Unterstützung bei Versammlungen und Demonstrationen
- Öffentlichkeitsarbeit, Social Media und Presseaussendungen
- Streikschulungen
- Rechtsberatung
- Fortbildungen auch zur Organisierung der Belegschaft der Organisation von Kampfmaßnahmen finden sich regelmäßig im Bildungsangebot der Gewerkschaft GPA.
- Eine wichtige Unterstützung im Falle von Arbeitskampfmaßnahmen ist natürlich die wirtschaftliche Absicherung der betroffenen, gewerkschaftlich organisierten Lohnabhängigen aus dem ÖGB-Streikfonds. Dieser wird aus den Beiträgen aller Gewerkschaftsmitglieder gespeist; Voraussetzung für die von der Höhe des Mitgliedsbeitrages abhängige Streikunterstützung ist daher die statutenkonforme Antragsstellung an den und Beschlussfassung durch den ÖGB.