Kollektivvertrag schafft faire Arbeitsbedingungen für Beschäftigte in der Sozialwirtschaft
Der KV-Sozialwirtschaft feiert sein 20-jähriges Bestehen und hat das Lohnniveau sowie die Arbeitsumstände für die Beschäftigten im privaten Sozial- und Gesundheitsbereich entscheidend geprägt und stark verbessert.
Seit 1. Juli 2004 gibt es einen Kollektivvertrag für die Beschäftigten der Sozialwirtschaft, heute gilt der SWÖ-KV als richtungsweisend. Er regelt und schützt die Rechte und Bedürfnisse von rund 130.000 Beschäftigten in mehr als 600 Mitgliedsorganisationen und rund 100 Berufsgruppen in einem wichtigen Wirtschaftsbereich: Mehr als 30 Prozent der Ausgaben des Bruttoinlandsproduktes (BIP) fließen in den Sozialbereich – für Pensionen, Gesundheitsversorgung, Pflege oder Familienleistungen.
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit
Eva Scherz, GPA-Kollektivvertrags-Chefverhandlerin für den Bereich Gesundheit und Soziales, unterstreicht die hohe Bedeutung des KVs für die Beschäftigten in diesem Segment: „Unser Bestreben war es, gleiche und faire Einkommens- und Arbeitsbedingungen für gleiche Tätigkeiten in ein und derselben Branche zu schaffen. Das bringt den arbeitenden Menschen tagtäglich viele Vorteile.“
Der Weg dorthin war lang. Damit die Teilgewerkschaften GPA und vida überhaupt einen bundesweiten Kollektivvertrag verhandeln konnten, brauchte es zunächst eine kollektivvertragsfähige Berufsvereinigung der Arbeitgeber:innen für Gesundheits- und Sozialberufe. Diese Vereinigung wurde 1997 auf Basis freiwilliger Mitgliedschaft von der Volkshilfe Österreich, dem Österreichischen Hilfswerk, dem Beruflichen Bildungs- und Rehabilitationszentrum BBRZ, dem Bundesverband der österreichischen Pflege-, Adoptiv- und Tageselternvereine sowie dem Verein Lebenswertes Leben gegründet.
„Durch die einheitlichen Standards im Kollektivvertrag erreichen wir eine faire Entlohnung und gute Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten der Sozialwirtschaft und stellen so die hohe Qualität der sozialen Dienstleistungen bei den unterschiedlichen Trägern sicher.“
Das Ziel war ein bundesweiter Kollektivvertrag für die Mitarbeiter:innen der Gesundheits- und Sozialdienste sowie für alle Organisationen, die Behindertenarbeit, Kinder- und Jugendwohlfahrt sowie arbeitsmarktpolitische Dienstleistungen anbieten. Weil sich nicht alle Arbeitgeber:innen der Berufsvereinigung anschließen wollten, strebten die Gewerkschaften eine Satzung des Kollektivvertrages durch das Bundeseinigungsamt an. „Die Satzung des KVs per 1. Mai 2006 hat bewirkt, dass der Geltungsbereich des Kollektivvertrages automatisch auch auf jene Organisationen und Arbeitgeber:innen ausgeweitet wurde, die nicht Mitglied der Berufsvereinigung Sozialwirtschaft Österreich waren“, erklärt Scherz.
Seit 2012 tritt der Arbeitgeberverband als „Sozialwirtschaft Österreich“ auf und ist heute die größte freiwillige Interessensvertretung der sozialen Dienstleistungsunternehmen in Österreich. 2016 wurde der BAGS-Kollektivvertrag auf SWÖ-Kollektivvertrag umbenannt und gilt österreichweit – mit Ausnahme von Vorarlberg – für alle Berufsgruppen im Gesundheits- und Sozialbereich. Scherz erwartet ein rasantes Wachstum an Aufgaben und Beschäftigten in der Sozialwirtschaft: „Aufgrund der demographischen Entwicklung wird der Unterstützungsbedarf, speziell im Pflegebereich, weiter steigen und die Nachfrage nach Leistungen und Mitarbeiter:innen in diesem Segment wird zunehmen.“
Eine ordentliche Absicherung der Arbeitnehmer:innen in diesem Segment hält Scherz für ein wichtiges gesellschaftliches und auch politisches Signal: „Die Beschäftigten der Sozialwirtschaft begleiten die Menschen durch viele unterschiedliche schwierige oder neue Lebenslagen hindurch und bieten Dienstleistungen von der Geburt bis ins hohe Alter an. Dieser Einsatz muss angemessen honoriert werden.“
SWÖ-KV fungiert als Leitbild für andere Branchen
Eine weitere wichtige Funktion des KV-Sozialwirtschaft sieht Scherz in der „Leuchtturmfunktion für andere Branchen: Wir haben viel Arbeit in die Ausgestaltung und Verhandlung des SWÖ-KVs gesteckt. 2024 haben die Gewerkschaften GPA und vida ein kräftiges Plus von 9,2 Prozent für Löhne und Zulagen ausverhandelt. Der neue Mindestlohn liegt bei 2.067,40 Euro.“
Wichtig sei auch, dass „im Zuge der KV-Verhandlungen regelmäßig über rahmenrechtliche Bedingungen diskutiert wird: Da geht es um die Ausgestaltung der Arbeitszeiten, der Gehälter und Lohnstufen oder um Urlaubsansprüche. Über das Rahmenrecht erreichen wir immer wieder wichtige und nachhaltige Verbesserungen für die Beschäftigten und verbessern auch die soziale Absicherung“, erklärt Scherz. So wurde im diesjährigen Abschluss die Bezahlung während der Nachtbereitschaft angehoben, die Vergütungen fürs Einspringen um 15 Prozent erhöht sowie erreicht, dass die Zuschläge für Mehrarbeit bereits ab der 8. Mehrstunde anfallen. „Die sogenannten Pufferstunden wurden dadurch halbiert“, freut sich Scherz.
Betriebsrät:innen schauen bei Verhandlungen über den eigenen Tellerrand
Cornelia Pöttinger, Betriebsratsvorsitzende beim Hilfswerk Oberösterreich, ist seit zehn Jahren im Verhandlungsteam der Arbeitnehmer:innen für den SWÖ-KV und hält die „Diversität der dort vertretenen Betriebsrät:innen für bemerkenswert und wichtig: Wir haben eine tolle Qualität der Diskussion entwickelt. Jede und jeder vertritt zwar primär die Interessen des eigenen Unternehmens, wir haben aber gelernt, dass wir über den Tellerrand schauen müssen, um gute Lösungen für alle Beschäftigten der Sozialwirtschaft erreichen zu können.“
In den Verhandlungen ist es für Pöttinger wichtig, dass „möglichst viel aus der Praxis erzählt wird: Konkrete Beispiele machen Probleme verständlicher und mögliche Lösungsansätze für alle im Verhandlungsteam leichter vertretbar.“ Ohne einheitlichen KV gäbe es keine gerechte Entlohnung in der Branche: „Durch unsere Diskussionen wird mir immer wieder aufs Neue bewusst, welche enorme Bandbreite die Beschäftigten in der Sozialwirtschaft abdecken und wie unterschiedlich die Berufsbilder sind. Dennoch arbeiten wir alle mit Menschen sowie in emotional und körperlich herausfordernden Verhältnissen.“
„Der Kollektivvertrag Sozialwirtschaft enthält auf 31 Seiten Verbesserungen für die Beschäftigten. Darauf sind wir sehr stolz, es ist ein wirklich guter KV.“
Viele wichtige Verbesserungen für die Beschäftigten, wie zum Beispiel der Vorgriff auf die 6. Urlaubswoche, sind laut Pöttinger erst durch den einheitlichen KV erreicht worden: „Diese Thematik verhandeln wir seit vielen Jahren und haben immer wieder kleine Erfolge errungen, die sich für die Menschen als konkrete Verbesserungen darstellen. So regelt der KV, dass nach dem ersten Jahr der Zugehörigkeit bereits ein zusätzlicher Urlaubstag anfällt.“
„Seit 2023 ist im KV geregelt, dass alle Beschäftigten der Sozialwirtschaft das amtliche Kilometergeld abrechnen können und dass die Dienstgeber:innen die Kosten für die Vollkasko Versicherung nicht mehr abziehen dürfen“, führt Pöttinger eine weitere Errungenschaft des Kollektivvertrages an: „Im Bereich der Ganztagsschulen sind im KV die wichtigen Vorbereitungszeiten für die Betreuer:innen verankert.“
Jede Verhandlungsrunde verbessert die Lebensbedingungen der Beschäftigten
Pöttinger streicht die hohe Qualität des KV auch im internationalen Vergleich heraus, im Kontakt mit ausländischen Betriebsrät:innen werde ihr „immer wieder bewusst, dass tragfähige Lösungen der Sozialpartner keine Selbstverständlichkeit sind: Wir können in den Verhandlungsteams mitbestimmen und mit Hilfe der Gewerkschaften konkrete Verbesserungen für die Beschäftigten erzielen. Der Kollektivvertrag ist ein Meilenstein für uns. Jede Verhandlungsrunde verbessert die Lebensqualität der Beschäftigten sehr wesentlich.“
Auch für Trixi Eiletz, Betriebsratsvorsitzende der Volkshilfe Steiermark, die seit 2019 als Verhandlungsvorsitzende auf Arbeitnehmer:innen-Seite für den KV-Sozialwirtschaft agiert, ist der einheitliche Kollektivvertrag „ein Meilenstein: Die Betriebe im Pflegebereich haben in den 90er Jahren höchst unterschiedlich bezahlt. Die Beschäftigten mussten jede Verbesserung gesondert mit dem jeweiligen Dienstgeber ausfechten.“ Der einheitliche KV stärke die Mitarbeiter:innen spürbar: „In Einzelgesprächen werden die Kolleg:innen gerne gegeneinander ausgespielt. Zusammen sind wir unüberwindbar.“
„Durch den KV-Sozialwirtschaft ist die Arbeit aller Beschäftigten der Branche gleich viel wert. Wir haben einen Leit-Kollektivvertrag geschaffen, an dem sich viele andere Verhandlungsteams und Branchen orientieren. Darauf sind wir stolz.“
Der KV-SWÖ bringt für Eiletz „eine beruhigende Einheitlichkeit in die Gehaltsverhandlungen: Alle müssen sich an den KV halten, Details müssen nicht mehr mit jeder Geschäftsführung ausdiskutiert werden. Das verbessert die Vergleichbarkeit und macht etwaige Jobwechsel leichter.“ Auch Träger, die nicht Teil des Arbeitgeber:innenverbandes sind, orientieren sich in der Praxis an den Abschlüssen des KVs: „Die Ergebnisse des SWÖs werden gerne übernommen, sie sind richtungsweisend.“
Als größte Erfolge des einheitlichen KVs sieht Eiletz „den Durchbruch zur Arbeitszeitverkürzung auf 37 Stunden sowie die bessere Anrechnung von Karenzzeiten auf den Urlaub oder die Dienstzeit: Der KV hat uns einen Rechtsanspruch auf Altersteilzeit gebracht. Er vereint das Beste aus unterschiedlichen sozialen Welten“, erklärt Eiletz.
Trotz aller Feierstimmung will sich Eiletz nicht auf den Erfolgen ausruhen: „Der KV muss laufend weiterentwickelt werden, aktuell kämpfen wir unter anderem dafür, dass Mehrarbeit ab der ersten geleisteten Stunde mit Zuschlag berechnet wird – das gehört dringend korrigiert.“ Deswegen will sich Eiletz auch weiterhin „mit starker Stimme für die Beschäftigten der Sozialwirtschaft einsetzen: Sie arbeiten mit und für Menschen. Sie sind für die Gesellschaft unersetzlich und haben sich daher die bestmöglichen Arbeitsbedingungen und eine Bezahlung, von der sie auch leben können, verdient.“