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Überstunden oder Macbeth?

Wir erklären, welche Rechte Beschäftigte haben, wenn länger gearbeitet werden soll Dieser Artikel erschien im Mitgliedermagazin KOMPETENZ, Ausgabe 5, Februar 2018

mapo - stock.adobe.com

Von Überstunden spricht man, wenn über die gesetzliche Normalarbeitszeit (8 Stunden pro Tag, 40 Stunden pro Woche) hinaus gearbeitet wird. Sofern im Kollektivvertrag nicht günstiger geregelt, gebührt für eine Überstunde ein Zuschlag von 50 Prozent oder Zeitausgleich in Höhe von 1,5 Stunden. Allerdings ist das nur die Grundregel. Unterschiedliche Arbeitszeitmodelle lassen eine andere Verteilung oder eine Verlängerung der Normalarbeitszeit zu. Überstunden fallen dann später oder gar nicht an oder werden in den nächsten Durchrechnungszeitraum übertragen. Daher ist bei jeder Rechtsberatung auf die Umstände des Einzelfalls zu achten.

Überstundenpauschale

Da wäre zunächst Simone G., die eine Überstundenpauschale bezieht. „Im Vorjahr“, erzählt sie, „habe ich erstmals weniger Überstunden geleistet, als durch meine Pauschale abgedeckt sind. Mein Chef verlangt nun von mir, dass ich den nicht abgeleisteten Teil meiner Pauschale zurückzahle.“ Wie sie erklärt, begründet er das damit, dass er in den Jahren davor stets einen Saldo zu ihren Gunsten nachzahlen musste. „Diesmal“, seufzt Simone G., „besteht ein Saldo zu meinen Lasten.“ Es erleichtert sie zu hören, dass sie nichts zurückzahlen muss. Das Risiko, dass weniger Überstunden als in der Pauschale abgedeckt anfallen können, trägt der Arbeitgeber. Doch eine Woche später erscheint Simone G. erneut zur Beratung. „Mein Chef hat meine Pauschale widerrufen“, klagt sie. „Von nun an bekomme ich nur noch die Überstunden bezahlt, die ich auch leiste.“ Grundsätzlich darf ein Arbeitgeber eine Überstundenpauschale nicht widerrufen. Sie ist Teil des Arbeitsvertrags und kann nicht einseitig abgeändert oder beseitigt werden. Simone G. hat seinerzeit allerdings die Widerrufbarkeit ihrer Pauschale vereinbart. Trotzdem, erfährt sie, darf ihr Chef von seinem Widerrufsrecht nicht mutwillig Gebrauch machen. Um es auszuüben, bedarf es sachlich gerechtfertigter Gründe. Wie Simone G. beteuert, werden auch weiterhin Überstunden anfallen: „Und das nicht zu knapp!“ Dass sie im Vorjahr erstmals weniger Überstunden als bezahlt geleistet hat, rechtfertigt noch nicht den Widerruf ihrer Pauschale.

Überstundenzuschläge

Mariusz K. arbeitet in einem Büro. Bis vor kurzem ließ seine Gleitzeitvereinbarung täglich 9 Stunden Normalarbeitszeit zu. Die 10. Stunde wurde jeweils als Überstunde ausbezahlt. Sein Chef möchte sparen. „Mit 1. September wurde die Gleitzeitvereinbarung geändert“, seufzt Mariusz K. „Nun können täglich bis zu 12 Stunden Normalarbeitszeit anfallen. Stimmt es, dass ich in Zukunft für die 10.  Stunde keinen Zuschlag mehr bekomme?“

Ja, das stimmt. Normalarbeitszeit ist nicht zuschlagspflichtig. Allerdings können auch im Rahmen einer Gleitzeitvereinbarung Überstunden anfallen, wenn sie angeordnet werden oder infolge der erteilten Arbeitsaufträge notwendig sind. Gleitzeit bedeutet nämlich grundsätzlich, dass die Beschäftigten die Dauer ihrer Arbeitszeit bestimmen, nicht der Arbeitgeber. „Gilt das auch für die 9. Stunde?“, fragt Mariusz K. nach. „Ich bleibe oft, weil ich bleiben muss. Weil mein Chef das verlangt.“ Ja, bekommt er zur Antwort, auch die 9. Stunde ist zuschlagspflichtig, wenn sie angeordnet wird. „Dann könnte ich für die Vergangenheit sogar Nachforderungen stellen“, überlegt Mariusz K. Allerdings kann er nur nachfordern, was noch nicht verjährt bzw. verfallen ist.

Gwen P. hat eine sehr dringliche Frage, als sie anruft. „Soeben hat mir mein Chef eröffnet, dass ich heute Überstunden machen muss“, beschwert sie sich, „aber ich habe für den Abend Opernkarten. Verdis „Macbeth“ in toller Besetzung. Die Karten waren sehr teuer. Außerdem freue ich mich schon seit Wochen auf diesen Abend.“ Ihren Chef interessiert das nicht. „Er sagt, ich kann nur die 11. und 12. Überstunde ablehnen, nicht jedoch die 9. und 10.“, sagt Gwen P. „Dabei könnte ich die Arbeit, die er heute noch erledigt haben will, auch morgen früh zum Abschluss bringen. Rechtzeitig vor seinem Meeting.“ Was ihr Chef nicht wahrhaben will: Überstunden dürfen überhaupt nur angeordnet werden, wenn keine berücksichtigungswürdigen Interessen der Beschäftigten entgegenstehen. Das gilt schon ab der 9. Stunde. Und eine Opernkarte für Verdis „Macbeth“ in der Wiener Staatsoper ist wohl ein berücksichtigungswürdiges Interesse. Dies umso mehr, als die anfallende Arbeit auch morgen noch fristgerecht erledigt werden kann.

Überstunden unausweichlich?

Bei guter Planung sollten Überstunden weitestgehend vermeidbar sein. Wir alle leisten Überstunden. In der heutigen Arbeitswelt ist das eine Selbstverständlichkeit. Wie sonst sollten Aufträge rechtzeitig erfüllt und Ziele erreicht werden? Überstunden sind also ein notwendiges Übel. Aber ist das wirklich so? Zuallererst sind regelmäßig anfallende Überstunden ein Zeichen schlechter Personalplanung; ein Organisationsmanko des Unternehmens. Wer regelmäßig Überstunden leistet, badet aus, was das Management verbockt hat: mangelnde Personalressourcen und ineffiziente Arbeitsabläufe zuallererst. In unserer Rechtsberatung werden wir tagtäglich mit Fragen konfrontiert, die sich um Überstunden drehen. Müssen sie geleistet werden? Wie sind sie abzugelten? Wozu verpflichten eine Überstundenpauschale oder ein All-in-Vertrag? Die Antworten ergeben sich je nach kollektivvertraglicher Regelung und Art des Arbeitszeitmodells – nach Prüfung des Einzelfalls.