Desksharing – die Kehrseite von Homeoffice?
Betriebsräte möglichst früh in die Veränderungsprozesse einbeziehen
Die Digitalisierung am Arbeitsplatz hat durch Corona einen Schub erhalten und stark zugenommen: Arbeiten mit Videokonferenzen ist zur Normalität geworden; Arbeiten im Homeoffice wurde vielfach im Regelbetrieb eingeführt. In zahlreichen Unternehmen wird die Büroorganisation umgestaltet, wobei die Einsparung von Büroflächen eine wichtige Rolle spielt. Dabei werden Modelle des Desksharings als arbeitsorganisatorische Maßnahmen diskutiert und eingeführt.
Da Desksharing massive Veränderungen für die Arbeitsbedingungen und das gesamte soziale Miteinander im Betrieb mit sich bringen kann, sollten sich Betriebsräte möglichst früh in solche Veränderungsprozesse einbringen, um die Interessen der betroffenen Arbeitnehmer:innen dabei vertreten zu können.
Was bedeutet Desksharing?
Desksharing ist eine Arbeitsorganisationsform, bei der Arbeitnehmer:innen einer Organisationseinheit Arbeitsplätze teilen. Meist sind weniger Arbeitsplätze als Beschäftigte vorhanden, die Sharing-Quote gibt das Verhältnis von der Anzahl der vorhandenen Arbeitsplätze zur Anzahl der Beschäftigten an. Der persönliche Arbeitsplatz fällt dabei für viele Arbeitnehmer:innen weg – die andere Seite der Medaille von Homeoffice.
In einigen großen Unternehmen der IT- und Telekommunikationsbranche wurden bereits in den 1990er Jahren unter dem Begriff „Telearbeit“ Modelle des Homeoffice und Desksharing eingeführt. Wie Betriebsräte berichten, hat der Verlust des persönlichen Arbeitsplatzes in Verbindung mit anonymen Großraumbüros in einigen Fällen zur Entfremdung vom sozialen Gefüge Betrieb geführt. Viele arbeiten ausschließlich im Homeoffice und fragen sich: „Was soll ich im Betrieb? Da kenne ich ja niemanden.“
Ein aktueller Trend ist besonders im Finanzbereich zu beobachten, wo im letzten Jahrzehnt massiv auf Großraumbüros mit Desksharing ohne persönliche Arbeitsplätze umgestellt wurde. Einblick in ein solches Fallbeispiel gibt der Beitrag zu anywhere working.
In der Corona-Krise sind viele ins Homeoffice übersiedelt, wo sie zum Teil heute noch festsitzen. Wegen der Ansteckungsgefahr gibt es oft strenge Grenzen für die Anwesenheit im Großraumbüro. Viele Beschäftigte möchten wieder im Büro arbeiten, allerdings nicht im Großraumbüro. Am beliebtesten ist nach der Pandemie-Erfahrung das Einzelbüro, wie eine Umfrage des Unternehmensverbands Bitkom zeigt.
Desksharing menschengerecht gestalten
Die künftige Büroorganisation und die damit verbundenen Regeln und Führungsstile menschengerecht zu gestalten, ist eine große Herausforderung. Für diesen Umbruch in der Arbeitswelt wird der Begriff „New Work“ verwendet, der mit positiven Werten wie Sinn, Freiheit und Selbständigkeit aufgeladen ist. Um diesen Werten gerecht zu werden, ist die Mitgestaltung durch die Mitarbeiter:innen und den Betriebsrat bei der Einführung und im laufenden Prozess nötig. Denn die Arbeitsorganisation muss sich an den Bedürfnissen der Beschäftigten orientieren und den Anforderungen aus der Arbeitstätigkeit entsprechen.
Um gute Arbeitsergebnisse erbringen zu können, braucht es eine entsprechende Umgebung. Für Arbeitsteams, in denen ständige Kommunikation erforderlich ist, werden wohl Mehrpersonenbüros vorteilhaft sein. Dort, wo konzentrierte Einzelarbeit geleistet wird, sind kleine Einheiten nötig, um Störungen baulich so gering als möglich zu halten. Kommunikation und Gruppenarbeiten können zum notwendigen Zeitpunkt beispielsweise in Gruppenarbeitsräumen oder im digitalen Raum stattfinden.
Haben Arbeitgeber nur die Kosteneinsparungen durch Büroflächenreduktion im Blick und statten Arbeitsplätze im Großraumbüro nach Minimalkriterien aus, wird die Arbeitsqualität darunter leiden. Wird Desksharing mit einer dezentralen Arbeitsorganisation verbunden, wo sich Teams innerhalb grundsätzlicher Spielregeln selbst organisieren, kann das die soziale Einbindung im Betrieb sowie eine selbständige Arbeitsweise fördern.
Immer mehr Betriebsräte leisten Überzeugungsarbeit in diese Richtung und bringen sich in Projektgruppen zu Desksharing ein, indem sie Spielregeln für diese neue Arbeitsform verhandeln.
Mitbestimmungsrechte nutzen
Dem Betriebsrat stehen zahlreiche arbeitsrechtliche Bestimmungen zur Verfügung, um Desksharing mitzugestalten. Diese reichen von Informations- und Beratungsrechten bis zu erzwingbaren Mitbestimmungsrechten. Je nach Umfang und Form der Maßnahme kann Desksharing eine Betriebsänderung (§ 109 ArbVG) darstellen, worüber der Arbeitgeber den Betriebsrat detailliert informieren und im Bedarfsfall eine Betriebsvereinbarung abschließen muss (§ 97 ArbVG Abs 1 Z 4). Jedenfalls werden neue Ordnungsvorschriften, Regeln zur Benützung von Betriebsmitteln, zu Arbeitszeit, zu Datenschutz usw. erforderlich sein, wozu ebenfalls Betriebsvereinbarungen nötig sind.
Eine Voraussetzung für die Einführung von Desksharing ist die Einhaltung der Bestimmungen aus dem Arbeitnehmer:innenschutzgesetz, insbesondere die Evaluierung der Arbeitsplätze (gemäß § 4 AschG). Dabei müssen auch psychische Belastungen Berücksichtigung finden. Erforderlichenfalls, und vor allem wenn Arbeitsräume und -flächen neugestaltet bzw. umgebaut werden, sind geeignete Fachleute beizuziehen (Arbeitsmediziner:innen, Arbeitspsycholog:innen, Sicherheitsfachkräfte, Ergonom:innen, Raumakustiker:innen;). Der Betriebsrat ist in allen Phasen der Arbeitsplatzevaluierung zu beteiligen (gemäß § 92a ArbVG).
Bei der Gestaltung des Desksharing-Modelles ist auch das gesetzlich geregelte Rücktrittsrecht der Arbeitnehmer:innen von Homeoffice (§ 2h Abs 4 AVRAG) zu berücksichtigen. Der Arbeitgeber muss ausreichend Arbeitsplätze zur Verfügung stellen können, wenn Arbeitnehmer:innen aus wichtigen persönlichen Gründen wieder im Büro arbeiten wollen.
Folgende Themen sollten bei der Einführung von Desksharing geregelt werden:
- In Bezug auf den Geltungsbereich sollte festgelegt werden, welche Arbeitsbereiche betroffen sind und wie die Freiwilligkeit sichergestellt wird; In Pilotprojekten sollten Erfahrungen gesammelt werden, die eine Anpassung an die Arbeitsanforderungen und die Bedürfnisse der Beschäftigten ermöglicht;
- Regeln für die Arbeitsplatzteilung, z.B.: freie Sitzplatzwahl innerhalb der „Homebase“, Selbstorganisation innerhalb der einzelnen Bereiche, Sharing-Rate (im Rahmen der Arbeitsplatzevaluierung) festlegen, z.B.: Vier-Personenbüros werden von sechs bis sieben Personen selbstorganisiert geteilt.
- Der Zusammenhang von Desksharing mit Regelungen zu Homeoffice ist transparent zu machen. So ist etwa das Ausmaß von Homeoffice (z.B. 2 Tage pro Woche) und der Genehmigungsprozess zu regeln. Weiters sind Vorkehrungen für eine mögliche Rückkehr aus dem Homeoffice zu treffen.
- Arbeitsräume müssen alle Anforderungen nach Arbeitnehmer:innenschutzgesetz, der Arbeitsstätten- und der Bildschirmarbeitsverordnung erfüllen (Raumgröße, Licht, Luftfeuchtigkeit, usw.)
- Für Ordnung, Sauberkeit und Hygiene ist ein klares Konzept nötig, um die Gesundheit der Arbeitnehmer:innen zu schützen und Konflikte zwischen Arbeitnehmer:innen zu vermeiden. Eine entsprechende „Clean-Desk-Policy“ ist im Rahmen der Evaluierung der Desksharing-Arbeitsplätze zu behandeln.
- Arbeitsmittel müssen ergonomische Kriterien erfüllen und auf die unterschiedlichen Bedürfnisse ausgerichtet sein. Bestimmte Arbeitsmittel wie Headsets, Tastatur und Maus sind jedem/jeder Arbeitnehmer:in persönlich zur Verfügung zu stellen.
- Kontrolle/Datenschutz: Werden IT-gestützte Buchungssysteme eingeführt, sind dazu Spielregeln zu vereinbaren (§ 96a Abs 1 Z 1 ArbVG). Dabei ist auf Datensparsamkeit und Datenlöschung zu achten. Die personenbezogenen Daten, inklusive Statusangaben, sollten nur für die Koordination innerhalb der eigenen Organisationseinheit verwendet werden. Bei überschießenden, die Menschenwürde berührenden Kontrollmaßnahmen, wie etwa Leistungs- und Verhaltenskontrolle durch GPS-Tracking, hat der Betriebsrat eine Vetorecht (§ 96 Abs 1 Z 3 ArbVG).
Desksharing – ein Experiment?
Ob Desksharing zu einer Win-Win-Situation für Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen wird, hängt von vielen Faktoren ab. Viele Reibungsverluste (z.B.: höherer Zeitaufwand, Konflikte, mehr Aufwand für die IT-Organisation;) können die Einsparungen von Bürofläche zunichtemachen. Gesundheitliche Risiken für Arbeitnehmer:innen sind groß (zunehmender Stress, Isolation, Gefühl, ungerecht behandelt zu werden;).
Die (probeweise) Einführung von Desksharing sollte daher als gemeinsames Experiment ohne Scheuklappen betrachtet werden, und die Möglichkeit, Desksharing wieder abzuschaffen, wenn es sich nicht als passendes Arbeitsmodell für den jeweiligen Betrieb oder Arbeitsbereich herausstellt, in Betracht gezogen werden.