Microsoft 365 – eine wunderbare Welt
Die Gewerkschaft GPA hilft, den Überblick zu bewahren und die beste, zum Betrieb passende Betriebsvereinbarung zur Verwendung der Apps von MS365 auszuhandeln.
1975 gegründet, ist Microsoft (MS) der Senior unter den Tech-Konzernen. Gleichzeitig ist MS der Alleskönner unter den digitalen Giganten, angefangen von Betriebssystem, Browser und Suchmaschine über Spracherkennung, Dokumentenverarbeitung und (Video-)Telefonie bis hin zu Dateimanagement, Kooperationsplattformen, Präsentationstools, Projektmanagement, Zugriffsmanagement oder einer Virtual-Reality-Brille – MS liefert. Den größten Bekanntheitsgrad im betrieblichen Alltag hat das Software-Paket Microsoft 365, vormals unter dem Namen Office geführt. Ob unterwegs oder im Betrieb, in der Schule oder im Spital, für Beschäftigte oder die Leitungsebenen, Produkte aus dem Universum von Microsoft sind von den Arbeitsplätzen nicht mehr wegzudenken.
Geht es um Konzerne, die mit Internet-Dienstleistungen groß geworden sind, fällt bald die Abkürzung GAFA. Diese Abkürzung steht für Google (Alphabet), Apple, Facebook und Amazon (seit der Umbenennung von Facebook in meta kommt mitunter auch GAMA als Abkürzung vor) von deren (Skandal-)Geschichten man immer wieder hört und liest. Auffällig unauffällig ist dagegen Microsoft in diesem Akronym, reiht es sich doch erst seit wenigen Jahren ans Ende der Buchstabenkette GAFAM. Als solider Hersteller von Betriebssystemen in den 1980er Jahren bekannt geworden, zählt der Konzern Microsoft weder zu den neuen noch zu den skandalträchtigen IT-Riesen, den „Big Five“.
Programme von Microsoft sind in (fast) jedem Betrieb in Verwendung; mit der Tabellenkalkulation von Excel oder der Textverarbeitung von Word hat wohl jede und jeder schon einmal zu tun gehabt. Diese Programme hat Microsoft unter der Bezeichnung Office in ein Paket gepackt und 1989 erstmals auf den Markt gebracht. Erweitert um einen ganzen Haufen weiterer Funktionen und anderer Anwendungen (wie beispielsweise dem Planner zum Projektmanagement, Skype zur Videotelefonie, Forms für Umfragen oder Sway für Präsentationen) wurde daraus 2010 Office 365. Bis 2020 wurde die Bezeichnung beibehalten.
Microsoft 365 (MS365) gibt es seit 2011 und es umfasst ein noch breiteres Angebot. Microsoft nennt die einzelnen Programme „Applikationen“, also Apps, und stellt sie für eine Vielzahl an Zwecken zur Verfügung (z. B. zur Planung, Logistik, Kommunikation, Zusammenarbeit, Gerätemanagement, Personalmanagement und vieles mehr). Microsoft entwickelt Software, die für die Sicherheit auf der gesamten Unternehmensebene von Bedeutung ist, wie beispielsweise die Steuerungszentrale Azure Active Directory oder der Türsteher MS Defender. MS365 ist ein SaaS-Paket.
MS 365 bietet allumfassende Software
„Software as a Service“ lautet die Bezeichnung, wenn Hard- und Software nicht bloß eingekauft wird, sondern die Ware vom Hersteller auch repariert, verbessert und auf den neuesten Stand gebracht wird. Microsoft bietet dieses Service und seine Produktpalette seit 2011 Firmen und seit 2013 Privatpersonen in der Cloud an, also auf den Microsofteigenen Servern.
Microsoft erweitert seine Produktpalette sowohl mit hauseigenen Neuerfindungen als auch mit Neuerwerben. 2011 erwirbt MS den führenden Anbieter von Videotelefonie: Skype. 2013 kauft MS die Handysparte von Nokia, um sie 2018 an Foxconn zu verkaufen. 2018 verschafft sich Microsoft die Entwicklerplattform GitHub. Diese Erwerbungen bleiben dann entweder als eigene Unternehmen erhalten (z.B. GitHub oder die Bewerbungsplattform LinkedIn) und/ oder sie werden in das bestehende Angebot integriert (z.B. die Videotelefonie von Skype). Manche Ankäufe werden über kurz oder lang nicht mehr weiterentwickelt und serviciert, sie werden in „Pension“ geschickt. Skype ist beispielsweise bei MS365 seit 2021 nicht mehr mit im Paket.
Microsoft tätigt zahlreiche Ankäufe
Die Firmenerwerbungen von MS sind immer wieder Thema, sind die Preise doch einem eher hohen Segment zuzuordnen. 159 Milliarden Dollar hat MS laut wikipedia für seine 13 teuersten Ankäufe zusammengenommen bezahlt.
Manche Produkte, selbst wenn sie aus „eigenem Anbau“ stammen, werden über kurz oder lang nicht mehr serviciert, wie beispielsweise der Instant-Massenger-Dienst Kaizala, zu dem Microsoft vermeldet „retiring 2023“ und dessen Funktionen ohnehin in die Kooperations- und Kommunikationsplattform Teams integriert sind.
Die einzelnen Anwendungen von MS365 werden also permanent erweitert, untereinander kombiniert, verändert, in die bestehenden Apps integriert oder auch neu erfunden (z.B. wurde im Jänner 2022 die „Mitarbeiter-Erlebnis-Plattform“ bzw. das Selbstoptimierungs- und Lern-Tool Viva hinzugefügt).
„Künstliche Intelligenz“ ist mit dabei
Ein eigenes Forschungsteam von Microsoft beschäftigt sich mit sogenannter Künstlicher Intelligenz (KI), also auf bisherigem User-Verhalten aufbauenden Algorithmen, die in verschiedenste Apps eingebaut werden. So wurde beispielsweise an einer Künstlichen Intelligenz zur Gesichts- und Emotionserkennung auf Fotos, einschließlich Angaben zum ungefähren Alter und Geschlecht, geforscht, diese aber aufgrund mangelnder Wissenschaftlichkeit im Juni 2022 wieder eingestellt. Für ausgewählte KundInnen steht ein bildbeschreibender statt emotionserkennender Ableger davon (Seeing AI für Blinde und Sehbeeinträchtigte) zur Verfügung.
Wer das MS365 Emailprogramm Outlook nutzt, mag sich fragen, woher die guten Antwortvorschläge auf E-Mails kommen. Auch hier ist ein mitlernender Algorithmus, eine KI eingebaut.
Eines ist sicher: MS365 ist immer in Bewegung
MS365 ändert sich nicht nur aufgrund von Neuerwerbungen und Neuentwicklungen. Immer wieder werden Apps von MS365 auch umbenannt (z.B. führen einige der Security-Apps nun den Namen Purview). Manche Funktionen tauchen unter anderem Namen wieder auf (z.B. die Auswertungsmöglichkeiten von WorkplaceAnalytics in Viva Insights). Von einem übersichtlichen, über Jahre hinweg gleichbleibenden Angebot kann bei MS365 nicht die Rede sein.
Nutzt ein Unternehmen MS365 für sämtliche Unternehmensaufgaben, kommt alles aus einer Hand. Die verschiedenen Apps kommunizieren miteinander, greifen auf denselben Grundstock an Informationen zu, haben ein einheitliches Berechtigungskonzept hinterlegt, funktionieren grundsätzlich nach ähnlichen Prinzipien. Das ist praktisch. Es sind damit allerdings auch die Nutzer*innen, also die Beschäftigten in einem Betrieb, enger über die Apps von MS365 miteinander verbunden – und deren Verbindungen untereinander besser darstellbar. Wer arbeitet mit wem in welchen Apps wie lange zu welcher Zeit zusammen? Wer nutzt welche Kommunikationskanäle mit wem? Wer nutzt welche Apps häufig/ immer/ nie?
Viele Apps – der Graph schreibt mit – viele Informationen
Ein wesentliches Merkmal von MS365 ist, dass sämtliche Anwendungen über den Graph miteinander verbunden sind. Dieser verarbeitet die Informationen aus der einen Anwendung (z.B. Outlook) und spielt sie in eine andere (z.B. zeigt einen Vorschlag in MS Dynamics Sales, welchen Kundinnen und Kunden man zur Verkaufssteigerung kontaktieren sollte). Der Graph weiß bescheid. in dieser Anwendung wird mitgeschrieben und aus der Anwendung werden indirekt Informationen für andere Apps geliefert (wie beispielsweise Viva, Delve, Dynamics oder auch Teams).
MS bietet auch Funktionalitäten, die in mehreren Apps im Einsatz sind. Manche Features sind quer über verschiedene Apps aktiv (z.B. Standort, Präsenzstatus, Sprachsteuerung gibt es in Outlook, Office und Teams). Sie sind allerdings – wie auch der Graph – auf keiner Road-Map, der jeweils aktuellen Darstellung der Lizenzversionen, namentlich ausgewiesen. Es handelt sich um Meta-Anwendungen, deren Funktion nicht direkt in den transparent von MS veröffentlichten Änderungen (Change-Log) oder Landschaftsbildern (maps) veröffentlicht werden. Beispielsweise kann die Spracherkennung in einem einfachen Word-Dokument im Sinne eines Diktiergeräts zum Einsatz kommen; sie kann für das Transkribieren von Chats in Teams verwendet werden oder auch zum Erteilen von Befehlen zum Vorlesen von E-Mails und Kalenderaufgaben.
Sprachunterstützung von MS funktioniert mittlerweile exzellent
Damit nicht genug der Komplexität. MS365 beinhaltet Möglichkeiten zur Einbindung externer Apps, Programme, Anwendungen, Module. So ist beispielsweise seit dem Erwerb der Plattform LinkedIn durch Microsoft ein Feature im Mailprogramm Outlook vorhanden, um die Profile auf Outlook und LinkedIn miteinander abzugleichen. Derartige Erweiterungsmöglichkeiten machen die Sache nicht übersichtlicher.
Der neuste Coup aus dem November 2022 ist eine gratis im Netz verfügbare „Künstliche Intelligenz“, entwickelt in einem US-amerikanischen Unternehmen namens OpenAI, dessen Leitung von der Gründung 2015 bis zu seinem Ausstieg 2018 der (derzeit) reichste Mann der Welt innehatte (Elon Musk), an dem MS (derzeit) 49 % Anteile in der Stiftungskonstruktion hält und das derzeit als das teuerste StartUp mit einem Marktwert von 29 Milliarden Dollar gehandelt wird. Diese KI namens ChatGPT (Chat Generative Pre-Trained Transformer) erfasst im Netz verfügbare Informationen und stellt sie zu, auch für viele Expertinnen und Experten überraschend hochwertigen, ethisch trainierten, eigenständigen Texten, Gedichten, Geschichten oder Bildern zusammen. Egal ob Hausübung, Zeitungsartikel, ein Bild im Van-Gogh-Stil, ein Drehbuch, ein Programmcode, ein Urlaubsreiseführer, eine Fehlersuche u.s.w., der Chatbot erfreut sich bei experimentierfreudigen SchülerInnen, IT-Aficionados, interessierten Studierenden, und vielen anderen großer Beliebtheit. ChatGPT ist MS den großzügigen Betrag von einer Milliarde Euro wert. Die Beteiligung soll demnächst um ein zusätzliches milliardenschweres Investment bei OpenAI erweitert werden. Mittels ChatGPT wird derzeit in der Welt von MS die eigene Suchmaschine Bing attraktiver, Konferenzen besser zusammengefasst, die Übersetzung auf Teams-Konferenzen von Ton in Text optimiert etc. ChatGPT soll in einer Version namens „Prometheus“ von MS weiterentwickelt, durch Quellenangaben ergänzt und so, auch wissenschaftlich gesehen, attraktiver werden.
Es braucht keine Kristallkugel um die Prognose zu äußern, dass Nutzerinnen und Nutzer sehr bald und sehr vermehrt auf „selbstlernende“ und „intelligente“ Features bei MS365 treffen werden. Für Spannung beim nächsten Update von MS365 ist gesorgt.
Eine andere Prognose sei noch hinzugefügt: Im Gegensatz zu den zahlreichen Updates und Verbesserungen von MS, die für permanente Veränderung und so manche Überraschungen sorgen, werden rechtlichen Rahmenbedingungen und die generelle, breit aufgestellte Ausrichtung von MS gleichbleiben.
Gleichbleiben wird auch die gesetzliche Bestimmung im Arbeitsverfassungsgesetz, dernach zu MS 365 eine Betriebsvereinbarung abzuschließen ist. Aus den soeben beschriebenen Gründen, wie permanenter Wandel, riesige Produktpalette, zahlreiche Einsatz-, Verknüpfungs- und Einstellungsmöglichkeiten, Überschneidungen zwischen mitunter auch externen Apps etc., erscheint es allerdings wenig sinnvoll, ein Muster zu einer MS365-Betriebsvereinbarung anzubieten.
Betriebsvereinbarung zu Microsoft 365 ist Pflicht
Die Gewerkschaft GPA möchte dabei helfen, den Überblick zu bewahren und die beste, zum Betrieb passende Betriebsvereinbarung zur Verwendung von Apps aus der Welt von MS365 auszuhandeln.
In einem ersten Schritt gilt es, sich einen Überblick zu verschaffen, welche Apps zu welchen Zwecken überhaupt im Unternehmen verwendet werden. Mitunter macht es Sinn, die verschiedene Apps in einer Betriebsvereinbarung, die sich nach dem Zweck der Apps orientiert, zusammenzufassen (z.B. als Kommunikationsapps verwendet werden Outlook, Teams und Yammer oder als Projektplanungsapp verwendet werden Planner, Teams und ToDo). In der Betriebsvereinbarung empfiehlt es sich, dann entlang des jeweiligen Verwendungszweckes die Dos und Don’ts bei den Einstellungen zum Schutz der Privatsphäre widerzuspiegeln, die berechtigten Auswertungen festzulegen, die allfällige Privatnutzung zu regeln etc.
Einige Punkte sollen in jeder Betriebsvereinbarung zu MS365, unabhängig von den im Betrieb eingesetzten Apps, geregelt werden:
- Schulungskonzept
- Ansprechpersonen und Verantwortlichkeiten
- Zweckbindung
- Informationsrechte der Betroffenen
- Kontrollrechte des Betriebsrats
- Berechtigungskonzept
- Löschkonzept
- Datensparsamkeit und damit einhergehend das Vermeiden von personenbezogenen Auswertungen, Vergleichen, Profiling und automatisierter Entscheidungsfindung bzw. der Einsicht in derartige Zusammenstellungen ohne eine konkrete und berechtigte Begründung
- Umgang mit Updates
- Evaluierung
Der Beitrag ist erstmals am Blog arbeitundtechnik.gpa-djp.at erschienen.