EU-Kompass zur Wettbewerbsfähigkeit gefährdet Arbeitnehmer:innenrechte
Die EU-Kommission hat Ende Januar 2025 ihren „Kompass für Wettbewerbsfähigkeit“ vorgestellt, sozusagen den wirtschaftspolitischen Rahmen für die kommenden Jahre. Bis Ende 2026 plant die Kommission fast 50 Gesetzes- und andere Vorschläge. Ziel ist es, die EU im globalen Wettbewerb zu stärken - besonders gegenüber den USA und China. Der Kompass basiert auf den Empfehlungen des „Draghi-Berichts“ zur Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit und soll massive Investitionen von 800 Milliarden Euro pro Jahr mobilisieren.
Deregulierung bedroht bestehende Schutzstandards
Unter dem Motto „Vereinfachung“ verfolgt die Kommission einen problematischen Kurs der Deregulierung. Geplant ist eine Reduktion des Verwaltungsaufwands für Unternehmen um mindestens 25%. Seitens der Kommission betont man gern: eine „Vereinfachung“ noch nie dagewesenen Ausmaßes.
Während ein Abbau überflüssiger Bürokratie klar zu unterstützen ist, warnen die europäischen Gewerkschaften nachdrücklich: Wenn Berichtspflichten zu Rechten von Arbeitnehmer:innen abgebaut werden, dauert es nicht lange, bis auch an den Rechten selbst gesägt wird – mit direkten negativen Folgen für die Beschäftigten.
WKÖ und Gewerkschaften einig: 28. Regime ist abzulehnen
Besonders kritisch zu sehen ist der Plan für eine neue EU-weite „innovative Unternehmensform“ in Gestalt eines sogenannten „28. Regimes“. Während die österreichische Wirtschaftskammer völlig richtig die damit einhergehende fehlende Rechtssicherheit kritisiert, haben die europäischen Arbeitnehmer:innen damit bereits eindeutige Erfahrungen gemacht: Solche Sonderregelungen werden oft missbraucht, um Arbeitnehmer:innenrechte und nationale Schutzstandards zu umgehen. Bisher ist das 28. Regime eine vage Ankündigung. Gemeinsam mit anderen Verbündeten wird die Gewerkschaftsbewegung sich dafür einsetzen, dass der Ansatz nicht weiterverfolgt wird.
28. Regime
Damit wird eine neue, EU-weite Unternehmensform zusätzlich zu den 27 nationalen Regelungen der EU-Mitgliedstaaten bezeichnet. Anders als andere Gesetze würde diese Form direkt durch EU-Recht geregelt. Der genaue Inhalt ist noch nicht bekannt, könnte aber auch Arbeits- und Mitbestimmungsrechte umfassen.
Der Norden des Kompasses: Die Konzernlobby?
Der Unternehmensverband BusinessEurope nutzt den Kompass bereits für weitreichende Forderungen - von der Aufweichung der Spielzeugsicherheit bis zur Schwächung von Umweltauflagen. Besonders alarmierend sind die Pläne zur Verwässerung der Mindeststeuer für Großkonzerne und der Regeln zur länderbezogenen Steuerberichterstattung. Während sich die 50 größten Unternehmen in der EU geschätzte 200 Millionen Euro für Lobbyarbeit leisten, werden die Stimmen von Gewerkschaften und Zivilgesellschaft systematisch überhört. Die EU-Förderung für Umwelt- und Sozialverbände von bescheidenen 16 Millionen Euro wird dabei von rechten und konservativen Kräften im EU-Parlament als profitorientiertes Lobbying diffamiert.
Zentrale Arbeitnehmer:innenrechte fehlen
Die Stärkung von Arbeitnehmer:innenrechten und die Sicherung hochwertiger Arbeitsplätze wurden im Kompass ausgeblendet - obwohl gerade die Vielzahl hochqualifizierter Arbeitnehmer:innen die europäische Wirtschaft von anderen abhebt. Zentrale Forderungen der vergangenen Jahre fehlen vollständig, etwa eine Koppelung der öffentlichen Auftragsvergabe an soziale Kriterien, wie sie der ehemalige Präsident Biden mit dem IRA (Inflation Reduction Act) erfolgreich umgesetzt hatte. Gleichzeitig werden wichtige Errungenschaften der EU wie die Mindestlohnrichtlinie an anderer Stelle aktiv bekämpft.
Der pauschale Bürokratieabbau findet auch in den USA Verfechter: Der neue Präsident Donald Trump entlässt gemeinsam mit dem zum "Minister für Regierungseffizienz" ernannten Unternehmer und Milliardär Elon Musk tausende Beschäftigte des öffentlichen Dienstes.
Produktivitätssteigerung ja, aber nicht auf Kosten der Beschäftigten
Eine starke europäische Wirtschaft braucht sowohl Wettbewerbsfähigkeit als auch soziale Gerechtigkeit. Ein einseitiger Fokus auf Wettbewerbsfähigkeit durch Deregulierung ist abzulehnen. Produktivitätssteigerungen sind wichtig, dürfen aber nicht auf Kosten der Beschäftigten gehen. Gemeinsam mit unseren österreichischen und europäischen Schwesterngewerkschaften fordert die Gewerkschaft GPA:
- Keine Schwächung von Arbeitnehmer:innenrechten durch neue EU-Unternehmensformen
- Verbindliche soziale Kriterien bei der Vergabe von EU-Förderungen
- Stärkung statt Schwächung der Kollektivvertragssysteme
- Ausreichende Personalausstattung von Behörden statt blindem Bürokratieabbau
- Einbindung der Sozialpartner in alle Vereinfachungsprozesse