Zum Hauptinhalt wechseln

Der Ungarische Ratsvorsitz und sein Programm

Hungarian Presidency / HU24EU

Die ungarische Ratspräsidentschaft der Europäischen Union beginnt am 1. Juli 2024 und dauert sechs Monate bis zum 31. Dezember 2024. Während dieser Zeit übernimmt Ungarn die Leitung der Sitzungen des Rates der Europäischen Union („Ministerrat“) und spielt eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung der EU-Politik und der Vermittlung zwischen den Mitgliedstaaten.

Wessen Geistes Kind?

Das Programm für den ungarischen Ratsvorsitz klingt überraschend versöhnlich und betont die eigene Rolle des ehrlichen Vermittlers. Man will auf vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und auf den Einsatz für Frieden, Sicherheit und Wohlstand setzen.

Dieses pragmatische Vorgehen steht in starkem Kontrast zur sonst provokativen Rhetorik und dem Verhalten Ungarns in Brüssel, wo die ungarische Politik auf ein „Europa der Nationalstaaten“ setzt und lautstark auf ein Erstarken rechtsextremer Kräfte hofft. Mit Ungarn übernimmt ein Land den Ratsvorsitz, in dem Rechte von Arbeitnehmer:innen und Gewerkschaften nicht nur regelmäßig, sondern systematisch verletzt werden. Die Löhne und Sozialausgaben in Ungarn gehören zu den niedrigsten Europas. All dies ohne jegliches Schamgefühl, denn die Bezeichnung Ungarns als „illiberaler Staat“, in dem demokratische Prinzipien keine zentrale Bedeutung haben, stammt von Viktor Orbán selbst.

Programm: Inhaltliche Schwerpunkte

In seinem Programm hat sich Ungarn sieben Schwerpunkte gesetzt:

  1. Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität fördern
  2. Europäische Verteidigungspolitik
  3. „leistungsabhängige“ EU-Erweiterung
  4. Eindämmung illegaler Migration
  5. Zukunftsfähige Kohäsionspolitik
  6. Agrarpolitik mit Landwirt:innen im Zentrum
  7. Demographische Herausforderungen bewältigen

Dieses in Inhalt und Sprache überraschend zahme Programm zeigt klar, wie die Interessen der Arbeitnehmer:innen eingestuft werden: im besten Fall als Nebenthema, und genau hier liegt das Problem. Wir kritisieren klar die politische Ausrichtung der rechtspopulistischen Fidesz und auch dieses in erster Linie unternehmer:innenfreundliche Programm.

Wettbewerbsfähigkeit vor soziale Sicherheit

Ein zentraler Fokus der ungarischen Ratspräsidentschaft liegt auf der Stärkung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit. Geplant sind Maßnahmen zur Förderung einer offenen Wirtschaft, zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und zur Unterstützung des ökologischen Wandels. Dabei steht die Schaffung eines günstigen Umfelds für Unternehmen und Investitionen im Mittelpunkt. Lange sucht man hingegen nach konkreten Maßnahmen für den dringend notwendigen Ausbau von hochwertigen und nachhaltigen Arbeitsplätzen – diese Fragen rückt die ungarische Regierung eindeutig in den Hintergrund. Klar ist trotzdem, was gemeint ist: Flexible Arbeitsverhältnisse sind oft mit weniger sozialer Sicherheit und schlechteren Arbeitsbedingungen verbunden und führen meist in die Prekarität. 

Unausgewogene Strategie für digitale und grüne Transformation

Die ungarische Ratspräsidentschaft hat sich das Ziel gesetzt, die digitale und grüne Transformation voranzutreiben. Anders jedoch als im „Trioprogramm“, das Spanien, Belgien und Ungarn als Staaten, deren Ratsvorsitz aufeinanderfolgt, im Juni 2023 veröffentlichten, ist hier nicht mehr die Rede davon, diesen Wandel fair, gerecht und inklusiv zu gestalten.

Fazit

Der inhaltliche Einfluss Ungarns während seines Ratsvorsitzes wird vermutlich eher gering sein. Der Übergang zwischen zwei Amtsperioden bedeutet wenig Gesetzgebungsarbeit. Stattdessen stehen andere Aktivitäten im Vordergrund: die Konstituierung der Fraktionen, die Wahl der Spitzenpositionen, die neue EU-Kommission,…

Eine derartige Bilanz ist ernüchternd, da sie im Vergleich zur eigentlichen Idee des rotierenden Ratsvorsitzes, nämlich die Arbeit an gemeinsamen Herausforderungen und Zielen, verblasst.

Als Gewerkschafter:innen appellieren wir an die europäischen Regierungen: Nutzen Sie diese Gelegenheit, um auf Ihre ungarischen Kolleg:innen einzuwirken. Die Repressalien gegen Arbeitnehmer:innen und Gewerkschaften muss aufhören, die ungarischen Medien dürfen in ihrer Freiheit nicht mehr eingeschränkt werden! Die Unabhängigkeit von Justiz und Wissenschaft muss wiederhergestellt werden.