Stärkung von Europäischen Betriebsräten
Unternehmensentscheidungen werden kaum noch lokal, sondern in den Konzernzentralen getroffen. Damit steigt die Bedeutung von grenzüberschreitenden Gremien für Arbeitnehmer:innen in multinationalen Konzernen. Um länderübergreifende Information und Konsultation zu ermöglichen, gibt es die EU-Richtlinie über Europäische Betriebsräte. Seit Jahren fordern die Gewerkschaften eine Verbesserung dieser Rechte, um Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft – etwa den sozial gerechten ökologischen Übergang – im Sinne der Beschäftigten gestalten zu können.
30 Jahre Europäische Betriebsräte
Im Jahr 1994 wurde die Richtlinie über Europäische Betriebsräte (EBR) beschlossen. Das sind länderübergreifende Gremien in multinationalen Konzernen, die Unterrichtungs- und Anhörungsrechte haben. Die Konzernleitung wird damit verpflichtet, die europäische Belegschaftsvertretung über die aktuelle Geschäftslage und voraussichtliche Entwicklungen etwa bei Personalplanung, Arbeitsorganisation, Investitionen und Restrukturierung zu informieren. Der EBR kann zu diesen Maßnahmen eine Meinung abgeben, besitzt jedoch im Gegensatz zu österreichischen Betriebsräten kein Verhandlungsrecht.
Ein EBR kann eingerichtet werden, wenn ein Unternehmen im EU-/EWR-Raum mindestens 1.000 Beschäftigte und in zwei dieser Länder je mehr als 150 Beschäftigte hat. Das trifft auf ca. 2.500 Konzerne zu. Allerdings gibt es nur wenige gesetzliche Standards für die Funktionsweise eines solchen Gremiums, die Rechte des EBRs in einem Unternehmen müssen verhandelt und in der sogenannten EBR-Vereinbarung niedergeschrieben werden. In ca. 1.200 Unternehmen gibt es derzeit einen Europäischen Betriebsrat.
Mehrwert der EBR
In einer globalisierten Wirtschaft sind die Gründe für Unternehmensentscheidungen lokal oft nicht mehr nachvollziehbar. Hinzu kommt, dass Unternehmen interne Prozesse international standardisieren, beispielsweise bei Digitalisierungsoffensiven, was die Handlungsspielräume lokaler Belegschaftsvertretungen einschränkt.
Über den EBR ist ein direkter Kontakt zum zentralen Management möglich. Das Unternehmen muss etwa Restrukturierungspläne vor der Umsetzung dem EBR berichten. So können Entscheidungen auf europäischer Ebene hinterfragt werden, während man sich auf lokaler Ebene frühzeitig darauf vorbereiten kann. Gegebenenfalls können so sogar europaweite Protestaktionen gewerkschaftlich koordiniert werden. Ein wesentlicher Aspekt ist zudem der direkte Kontakt von Arbeitnehmer:innenvertretungen verschiedener Länder – EBR-Sitzungen müssen nämlich vom Arbeitgeber bezahlt werden, inklusive etwa der Reise- und Dolmetschkosten.
Ernüchternde Bilanz
Eine Untersuchung des Europäischen Gewerkschaftsinstituts zeigt auf, dass noch viel Handlungsbedarf bei der tatsächlichen Rechtsumsetzung besteht. Der Großteil der EBR wird über Maßnahmen erst informiert, wenn die Entscheidungen bereits getroffen wurden oder sich in der Umsetzung befinden. Da Restrukturierungen in den meisten Konzernen Programm und keine Ausnahme sind, stellt das die Effektivität von EBR vor Herausforderungen. Vielfach werden Informationen unter dem Deckmantel der Vertraulichkeit schlichtweg vorenthalten.
Ein grundlegendes Problem ist, dass EBR in vielen Ländern keine oder erschwerte Möglichkeiten haben, vor Gericht zu gehen. Wenn also die Unternehmensleitung die EBR-Rechte nicht einhält, gibt es kaum Möglichkeiten, diese durchzusetzen. Und sollte doch ein Verstoß vor Richter:innen landen, sind die Sanktionen so gering, dass sie keinerlei abschreckende Wirkung entfalten.
Der Europäische Gewerkschaftsbund hat auf Basis der Erfahrungen aus fast drei Jahrzehnten Forderungen für eine Überarbeitung der EBR-Richtlinie aufgestellt. Die Europäische Kommission sah ursprünglich keinen Handlungsbedarf, das Gesetz nachzuschärfen. Erst der Einsatz von Gewerkschafter:innen im EU-Parlament hat es durch einen Initiativbericht geschafft, die Kommission zum Handeln zu bringen.
Vorschlag zur Überarbeitung der EBR-Richtlinie
Die EU-Kommission schlug im Jänner 2024 eine Revision der EBR-Richtlinie vor. Sie enthält wesentliche Verbesserungen für Europäische Betriebsräte, etwa Klarstellungen hinsichtlich des Unterrichtungs- und Anhörungsverfahrens, also dass EBR tatsächlich vor dem Treffen einer Entscheidung informiert und eingebunden werden müssen. Reguläre EBR-Sitzungen müssen künftig mindestens zweimal pro Jahr stattfinden. Zudem muss das Management in Zukunft begründen, wenn Informationen der Vertraulichkeit unterliegen. Das soll zu einer Verbesserung des kontinuierlichen Austauschs führen.
Die EU-Kommission hat festgestellt, dass viele Rechtssysteme es tatsächlich EBR unmöglich machen, ihre Rechte einzuklagen. Dies steht im Widerspruch zur Charta der Grundrechte, weswegen der Vorschlag Fortschritte diesbezüglich bringt. Keine wesentlichen Änderungen werden jedoch bei EU-weit einheitlichen Sanktionen bei Rechtsverstößen, ähnlich der DSGVO, vorgeschlagen, was die europäischen Gewerkschaften kritisieren.
Politisches Kräftemessen um Mitbestimmung
Die Business-Lobby lehnt eine Änderung der EBR-Richtlinie kategorisch ab. Sowohl über das Europäische Parlament als auch die Regierungen der Mitgliedsstaaten versuchen die Arbeitgeber nun, den Vorschlag maßgeblich abzuschwächen oder sogar gänzlich zu begraben. Die Gewerkschaften setzen sich weiterhin für eine Verbesserung der Richtlinie und sogar eine Nachschärfung des Kommissionsvorschlags ein. Aus ihrer Sicht ist die Stärkung von Europäischen Betriebsräten dringend notwendig, um insbesondere Digitalisierungsprozesse und Maßnahmen gegen den Klimawandel sozial gerecht zu gestalten.
Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, dass das Europäische Parlament auch in Zukunft ein offenes Ohr für die Anliegen der Beschäftigten hat. Nicht zuletzt deswegen ist es wichtig, dass auch du dein Stimmrecht bei den EU-Wahlen am 9. Juni 2024 nutzt.
Dieser Artikel ist zuerst am Arbeit & Wirtschaft Blog der Arbeiterkammer erschienen.