Systemrelevant und ausgebeutet: Kolleg:innen demonstrieren gegen ungerechte Vergabekriterien
Spätestens die Covid-19-Pandemie hat es deutlich gemacht: Reinigungskräfte, Security-Mitarbeiter:innen und Beschäftigte im Gastgewerbe sind „systemrelevant“. Und: Sie arbeiten oft unter prekären Arbeitsbedingungen. Über 1.000 Kolleg:innen aus neun europäischen Ländern gingen deshalb am 1. Oktober auf die Brüsseler Straßen.
Billiger ist nicht besser: Die aktuelle Vergabepraxis hat Folgen
Die Zahlen sind alarmierend: Öffentliche Aufträge im Wert von über 2 Billionen Euro – etwa 14 % des EU-BIP – werden derzeit meist ausschließlich nach dem Kriterium des niedrigsten Preises vergeben. Zum Vergleich: Die gesamte österreichische Wirtschaftsleistung betrug 2023 lediglich 2,8 % des EU-BIP, jene von Frankreich 16,6 %.
Eine UNI Europa-Studie zeigt: Bei der Hälfte aller öffentlichen Ausschreibungen in der EU ist der Preis sogar das einzige Kriterium. Die Folgen für die Beschäftigten sind dramatisch: Niedrige Löhne, unsichere Jobs und schlechte Arbeitsbedingungen. Obendrauf bleiben Unternehmen, die an fairen Löhnen und guten Arbeitsplätzen interessiert sind, auf der Strecke. Fairer Wettbewerb sieht anders aus.
„Wollen besten Service bieten und ein anständiges Leben haben“
„Meine Arbeit ist sehr wichtig für die Sicherheit der Menschen. Aber mein Gehalt ist viel zu niedrig für die Lebenshaltungskosten“, sagt Youssef B. Er ist Securitymitarbeiter. „Ich möchte meinen Kunden den besten Service bieten und ein anständiges Leben für mich und meine Familie haben. Deshalb müssen sich die Regeln auf europäischer Ebene ändern, damit meine Kollegen und ich endlich gute Arbeitsbedingungen bekommen!“ Sein Beispiel zeigt: Die derzeitige Vergabepraxis führt zu einem regelrechten Unterbietungswettbewerb auf dem Rücken von Arbeitnehmer:innen. So werden Steuergelder nun gegen diejenigen verwendet, die sie erwirtschaftet haben: die Beschäftigten.
Breite Unterstützung für unsere Forderungen
Unterstützung erhielten die Demonstrierenden von über 100 renommierten Wirtschaftswissenschafter:innen. In einem offenen Brief fordern sie gemeinsam mit den europäischen Gewerkschaften eine Reform der Vergaberichtlinien, die Kollektivverträge stärkt und Arbeitsbedingungen verbessert. Es muss gelten: Kein öffentlicher Auftrag ohne Kollektivvertrag!
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat angekündigt, die EU-Richtlinien zur öffentlichen Auftragsvergabe zu überarbeiten. Dafür könnte der liberale Franzose Stéphane Séjourné, möglicherweise der zukünftige EU-Kommissar für Wohlstand, Industrie, KMU und den Binnenmarkt, zuständig sein. Ob dabei also unsere Gewerkschaftsforderungen Widerhall finden, bleibt offen.
Gemeinsam stärker: Landesweiter Streik in Belgien
Am 1. Oktober legten in ganz Belgien Beschäftigte in den Sektoren Sicherheit, Reinigung und Gastgewerbe die Arbeit nieder – viele von ihnen beteiligten sich an der von UNI Europa organisierten Demonstration in Brüssel. Auch sie bekommen die Kehrseite des „Bestbieterprinzips“ zu spüren: Sie verrichten ihre Arbeit häufig in veralteten Einrichtungen, mit mangelhafter Ausrüstung und unter der ständigen Drohung, durch Subauftragsnehmer, deren Arbeitsbedingungen noch schlechter reguliert sind, ersetzt zu werden.
Die belgischen Flughäfen Brüssel, Charleroi und Liège mussten an diesem Tag zahlreiche Flüge absagen.
Deine Gewerkschaft GPA setzt sich ein!
Als Gewerkschaft GPA und Mitglied von UNI Europa, der europäischen Dienstleistungsgewerkschaft, setzen wir uns dafür ein, dass die öffentliche Auftragsvergabe an einen Kollektivvertrag geknüpft wird. Wer Arbeitnehmer:innenrechte, wie das Grundrecht auf kollektiv verhandelte Arbeitsbedingungen unterdrücken will, darf dafür nicht mit unserem Steuergeld belohnt werden. Wir rufen alle österreichischen Entscheidungsträger:innen dazu auf, sich für die Beseitigung dieses Missstands einzusetzen.