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Die Europäischen Institutionen 2024-2029: Neue und alte Herausforderungen

Europa 2024-2029: Die Europäischen Institutionen in der neuen Amtsperiode und vor neuen Herausforderungen. Hier gibt‘s die gewerkschaftlichen Einschätzungen dazu.

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Die Wahlen zum Europäischen waren nur die erste Phase der Neuaufstellung der EU für die Periode 2024-2029. In den kommenden Wochen und Monaten werden die europäischen Institutionen gemeinsam mit den nationalen Regierungen wichtige Entscheidungen für unseren Zukunft treffen. Einige Einschätzungen aus Gewerkschaftssicht:

Das Europäische Parlament

Das Europäische Parlament (EP) ist mit seinen nach Sachthemen gegliederten Ausschüssen (z.B. Beschäftigung und Soziales, Umwelt…) das einzige direkt gewählte Gremium der EU. In der Periode 2024-2029 besteht es aus 720 Mitgliedern bzw. Abgeordneten (MEPs). Auf Vorschlag der Europäischen Kommission legt das EP gemeinsam mit dem Rat das Budget der EU fest und beschließt Gesetze. Anders als in nationalen Parlamenten üblich stimmen die MEPs einer Fraktion nicht immer einheitlich. 

Als Gewerkschafter:innen kritisieren wir, dass dem Europäischen Parlament Rechte fehlen, die für eine wirklich demokratische Union unverzichtbar sind, wie etwa das Recht, selbst Gesetzesinitiativen zu setzen.

Welche Entscheidungen werden aktuell im EP getroffen?

Neben der EU-Parlamentspräsident:in kommt den Vorsitzenden der EU-Fraktionen eine wichtige Rolle zu, weil sie zentral für die Zusammenarbeit zwischen Fraktionen und damit auch für die Vorbereitung von Beschlüssen sind. Aktuell wird innerhalb der Fraktionen auch bestimmt, welche Abgeordneten in welche Ausschüsse kommen und dort möglicherweise Leitungspositionen (z.B. Ausschussvorsitz) einnehmen. Diese Entscheidungen sind wichtig, weil in den Ausschüssen jene Diskussionen geführt werden, über die anschließend das gesamte Parlament abstimmt. 

Als Gewerkschaftsbewegung betonen wir: Die Zusammenarbeit unter den demokratischen Kräften, insbesondere jenen von EVP, S&D, Renew und den europäischen Grünen, muss weitergeführt werden! Hinterzimmervereinbarungen mit erstarkten rechten Parteien auf dem Rücken von Arbeitnehmer:innen und begleitet von Hetze gegen Migrant:innen braucht es nicht! 

Der Europäische Rat

Das Europäische Rat, oder kurz Rat, ist das höchste Gremium der EU, bestehend aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten. Hier werden die großen politischen Ziele der EU verhandelt und festgelegt und EU-Spitzenpositionen ernannt oder vorgeschlagen: Präsident:in des Rates, Präsident:in und Mitglieder der Europäischen Kommission, EU-Außenbeauftragte:r, Leitung der Europäischen Zentralbank (EZB),…

Weil der Rat sich aus den Staats- und Regierungschefs zusammensetzt, spielt es hier eine besonders große Rolle, welche Ergebnisse es bei nationalen Wahlen gibt. In Österreich werden in diesem Herbst also nicht nur der Nationalrat und in weiterer Folge die neue Regierung gewählt. Es wird auch bestimmt, wer die österreichische Stimme im Rat sein darf.

Wie sind die aktuellen Ratsmitglieder einzuschätzen?

Von den 27 Mitgliedern gehören 11 (40%) der EVP an, zu ihnen zählt auch Bundeskanzler Nehammer (ÖVP). 5 (18%) sind als der liberalen Fraktion zuzuordnen und 4 (15%) der europäischen Sozialdemokratie. Aktuell gibt es in der EU keine grünen Staats- und Regierungschefs, aber dafür 3 (11%), die rechten Parteien angehören und 5, die zu keiner europäischen Partei gehören. 

Die politischen Hintergründe der 27 Ratsmitglieder sind enorm wichtig, weil sie die politische Entwicklung der EU wesentlich mitentscheiden. Diese Zahlen zeigen: Eine Mehrheit von fast 60% der Staats- und Regierungschefs verfolgt eindeutig neoliberale Politik, die Arbeitnehmer:inneninteressen nicht priorisiert. 

Nationale Wahlen, die in den kommenden Monaten stattfinden, z.B. Österreich im September oder Frankreich im Juli, können Zusammensetzung des Rates verändern.

Die „Strategische Agenda“

In der Strategischen Agenda des Rates werden die Prioritäten der EU für die nächsten fünf Jahre festgelegt. Für die neue Periode 2024-2029 ist noch kein Dokument veröffentlicht, Entwürfe sind aber an die Öffentlichkeit gelangt. Sehr grob zeigen sie, dass Fragen der Beschäftigung und Sozialpolitik zu Gunsten von Wirtschaft und Wettbewerb in den Hintergrund gerückt werden.

Für die europäischen Gewerkschaften ist aber klar, dass die „grüne und digitale Transformation“ der Wirtschaft unter dem Deckmantel des Fortschnitts nicht zum Nachteil der arbeitenden Menschen gestaltet werden darf.

Die Europäische Kommission

Im Anschluss an EU-Wahlen wird auch die Europäische Kommission (EK oder Kommission) neu bestellt. Der Rat kann seine Vorschläge grundsätzlich frei gestalten, muss aber berücksichtigen, dass die Kommission nur handlungsfähig ist, wenn sie im EP Mehrheiten für ihre Vorhaben findet.

Die Kommission besteht aus 27 Kommissar:innen (je 1 Person pro Mitgliedsstaat), darunter der/die Kommissionspräsident:in, aktuell Ursula von der Leyen (EVP). In ihrer Funktion ist die EK mit einer Regierung vergleichbar. Die Mitglieder haben ähnlich wie Minister:innen unterschiedliche Zuständigkeiten.

Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im EP und im Rat, ist eine Wiederbestellung von Ursula von der Leyen (EVP) als Kommissionspräsidentin wahrscheinlich.

Wer dem aktuellen österreichischen EU-Kommissar Johannes Hahn nachfolgen wird, ist unklar. Für die Interessen von Arbeitnehmer:innen ist es besonders wichtig, wer die Themen Beschäftigung und soziale Rechte betreut. Warum? Hier entstehen Vorschläge wie etwa zur Lohntransparenzrichtlinie oder Mindestlohnrichtlinie. Bisher ist Nicolas Schmitt (Sozialdemokrat aus Luxemburg) für Beschäftigung und Soziales zuständig (vergleichbar mit einem „Arbeits- und Sozialminister“). Auch seine Nachfolge ist unklar.

 

Daran wird gerade gearbeitet

Viele Gesetzesvorhaben befinden sich bereits in Arbeit oder werden in der neuen Periode 2024-2029 in Angriff genommen. Gewerkschaften in ganz Europa leisten hier aktive Arbeit, indem wir mit MEPs sprechen, die Wichtigkeit unserer Forderungen darlegen und auch aktiv in Gremien wie dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss mitarbeiten. Einige Beispiele:

  • Europäischer Betriebsrat (EBR): Aktuell ist eine Revision zur EBR-Richtlinie in Arbeit. Sie soll EBRs und ihren Arbeitnehmer:innen mehr Klarheit über ihre Rechte und mehr Sicherheit bei der Umsetzung und Einforderung ihrer Recht ermöglichen. Die Arbeitgeber:innenseite leistet hier enormen Widerstand und möchte die Schwächen der aktuellen Richtlinie beibehalten.
  • Praktika: Die Kommission hat einen enttäuschenden Vorschlag für neue Regelungen für Praktika vorgelegt. Wir setzen uns dafür ein, dass Praktika eine Möglichkeit zum näheren Kennenlernen einer beruflichen Tätigkeit sind und nicht mehr die Hintertür zum Lohndumping!
  • Öffentliche Beschaffung gerecht gestalten: Die Europäische Gewerkschaftsbewegung setzt sich klar für faire Regeln für die öffentliche Beschaffung ein. Wir fordern, dass öffentliche Aufträge nur an Auftragnehmer:innen vergeben werden dürfen, die ihren Arbeitnehmer:innen Kollektivvertragslöhne bezahlen. Bei öffentlichen Vergaben handelt es sich immerhin um Steuergelder und diese dürfen nicht für Sozialdumping genutzt werden!
  • Reisen mit Sicherheit: In Bearbeitung befindet sich noch ein Gesetzesvorhaben für besseren Verbraucherschutz bei Pauschalreisen, damit das eigene hart erarbeitete und hart verhandelte (Urlaubs-)Geld tatsächlich auch der Erholung zugutekommt.

 

Abwarten angesagt?

Angesichts vieler offener Fragen, die nicht nur personelle, sondern auch politische Entscheidungen betreffen, zeigt sich, dass es noch einige Zeit dauern wird, bis die EU für die Periode 2024-2029 vollständig aufgestellt ist. Einen Zeitplan für wichtige konkrete Entscheidungen haben wir unten verlinkt. Ein „Arbeitsbeginn der neuen EU“ zum Jahresende ist realistisch.

Genau deswegen ist es aber auch wichtig, dass Gewerkschafter:innen jetzt in Brüssel aktiv sind und mit EU-Abgeordneten und möglichen zukünftigen Amtsträger:innen über politische Prioritäten sprechen. So kann es unter Umständen gelingen, einzelne Leuchtturmprojekte in das Arbeitsprogramm zu verhandeln, wie es in der vergangenen Periode mit der Mindestlohn-Richtlinie geschehen ist.

 

 

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