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EU-Kommission vor Neuausrichtung: Fokus auf Wettbewerbsfähigkeit und Sicherheit

Am 17. September stellte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihren Vorschlag für das neue Kollegium der EU-Kommission (2024-2029) vor. Während 2019 der europäische Green Deal im Mittelpunkt stand, liegt der Fokus nun stärker auf Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschaftswachstum und Sicherheit, wie auch der kürzlich veröffentliche „Draghi-Bericht“ zeigt. Gemeinsam müssen wir verhindern, dass Arbeitnehmer:innenrechte ins Hintertreffen geraten.

dpa

„Schummelzettel“: EU-Kommission

Die Europäische Kommission ist eine der drei Hauptinstitutionen der EU, gemeinsam mit dem Europäischen Parlament und dem Europäischen Rat. Aktuell besteht sie 27 aus Kommissar:innen, die verschiedene Ressorts wie Beschäftigungspolitik, Landwirtschaft oder Energie verantworten. Die Kommissar:innen werden alle fünf Jahre von ihren nationalen Regierungen nominiert. Die Zusammensetzung des Kollegiums ist daher zu einem großen Teil das Ergebnis innenpolitischer Machtverhältnisse. Ihre Hauptaufgaben sind:

  • Vorschlagen neuer Gesetze: Als einzige EU-Institution hat sie das sogenannte „Initiativrecht“.
  • Durchsetzen von EU-Regeln
  • Vertretung der EU nach außen (z.B. bei internationalen Verhandlungen)

Struktur und Zusammensetzung

Die neue Kommission zeigt eine deutliche Verschiebung in ihrer politischen Zusammensetzung. Die Europäische Volkspartei (EVP) stellt mit 14 Kommissar:innen (zuvor 11) die größte Gruppe und damit mehr als die Hälfte der Kommissionsmitglieder – und das bei einem EU-Wahlergebnis von 21,2%. Die zweit- und drittmeisten Kommissar:innen gehören der liberalen Renew Europe mit 5 (zuvor 6) und den sozialdemokratischen Fraktion (S&D) mit 4 Vertreter:innen (zuvor 8) an. Der Frauenanteil ist mit 11 Frauen zu 16 Männern (40% Frauen) niedriger als in der vorherigen Kommission, die 14 Frauen und 13 Männer (52% Frauen) umfasste. 

Grund für Unmut: Kein eigenständiges Ressort für Beschäftigung und soziale Rechte…

Irritierend ist das Fehlen eines eigenständigen Ressorts für Beschäftigung und soziale Rechte. Dieses Ressort existierte seit 1967 und wurde zuletzt von Nicolas Schmit (S&D) geleitet. Wir als europäische Gewerkschaftsbewegung kritisieren diesen Schritt scharf. Allzuhäufig hat sich erwiesen: Ein im Titel gering priorisiertes Thema, wird meist auch in der politischen Arbeit vernachlässigt.

Klar ist aber: Arbeits- und sozialpolitische Themen dürfen nicht in den Hintergrund gedrängt werden. Gute und sichere Jobs sowie die Mitbestimmung am Arbeitsplatz sind unsere wichtigsten Werkzeuge in der Auseinandersetzung mit der extremen Rechten.

…stattdessen nun „People, Skills & Preparedness“?

Die Themen des früheren Kommissars für Beschäftigung und soziale Rechte sind nun in den Aufgabenbereich der rumänischen Sozialdemokratin Roxana Mînzatu gewandert. Sie soll Kommissarin für „People, Skills & Preparedness“ (auf Deutsch in etwa „Menschen, Fähigkeiten und Vorbereitetsein“) werden. Dazu gehören unter anderem die folgenden Aufgaben:

  • Aktionsplan zur Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte 
  • Fahrplan für hochwertige Arbeitsplätze, der faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen unterstützt
  • Stärkung des sozialen Dialogs in Europa 
  • EU-Strategie zur Armutsbekämpfung 

Wachsamkeit und Beharrlichkeit für Arbeitnehmer:innenrechte

Als Gewerkschafter:innen erkennen wir in den Aufträgen an die designierte Kommissarin für „Fachkräfte, Kompetenzen und Vorsorge“ Ansatzpunkte für eine faire Beschäftigungs- und Sozialpolitik. Diese Ansatzpunkte werden wir nutzen und uns gemeinsam mit unseren europäischen Kolleg:innen weiterhin für gute, faire und zukunftssichere Arbeit für alle einsetzen.

Es fällt jedoch auf, dass der Fokus auf individuellen Arbeitnehmer:innen liegt. Wir vermissen Aussagen zur Verbesserung kollektiver Rechte. Insbesondere die Umsetzung der Mindestlohn-Richtlinie und die Erhöhung der KV-Abdeckung in allen europäischen Ländern sollte verfolgt werden. Bedenklich ist außerdem, dass Mitbestimmung kaum Thema ist – gerade bei den tiefgreifenden Veränderungen wie Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, grüner Wandel und ständigen Unternehmensumstrukturierungen müssen Betriebsräte eine Schlüsselrolle spielen!

Die kommenden Wochen werden zeigen, wie genau die designierte Kommission ihre Arbeit anlegen will. Diesen Prozess werden wir nun kritisch beobachten, insbesondere wenn sich die Kandidat:innen zur Kommission den Fragen des europäischen Parlaments bzw. seiner Ausschüsse stellen. 

Die Hearings der 27 Kandidat:innen werden voraussichtlich im November stattfinden. Im Dezember soll die neue Kommission ihr Amt antreten.