Wer, wenn nicht die EU, kann Lohndumping verhindern?
Beschäftigte müssen vor Lohndumping in der EU geschützt werden
Unterschiedliche Lohnniveaus führen immer wieder zu Wettbewerbsdruck und Lohndumping. Ein europäischer Arbeitsmarkt braucht daher auch europäische Regeln. Wer, wenn nicht die EU, kann Rahmenbedingungen schaffen, die Lohndumping verhindern und für einen Aufwärtstrend bei den Löhnen sorgen?
Lohndumping versus faire Löhne in der europäischen Arbeits- und Wirtschaftswelt
Seit 31 Jahren existiert der Europäische Binnenmarkt. Bürger:innen, Waren, Dienstleistungen und Kapital können sich seither frei bewegen. Mit Begründung dieses Wirtschaftsraumes ist auch das Versprechen auf Wohlstand einhergegangen. Die wirtschaftlichen Ungleichheiten sollten abgebaut werden und das Lohnniveau insbesondere in den osteuropäischen Mitgliedstaaten ansteigen.
Dieses Wohlstandsversprechen wurde jedoch nicht eingehalten. Obwohl die Produktivität in mittel- und osteuropäischen Ländern gestiegen ist, hinkt die Lohnentwicklung stark hinterher. Der Stundenlohn österreichischer Beschäftigter ist nach wie vor viermal höher als in Rumänien, Ungarn oder Polen und dreimal höher als in Tschechien. Vielfach ist ein beinharter Kampf um die niedrigsten Lohn- und Sozialstandards entstanden – auf dem Rücken der Beschäftigten.
Mit Lohndumping sind wir in allen Branchen und vielen Unternehmen konfrontiert. Allzu oft werden Unternehmensteile in sogenannte Niedriglohnländer verlagert, um Kosten zum Nachteil von Beschäftigten zu sparen. Für Betriebsrät:innen bringt dieser Trend zahlreiche Herausforderungen mit sich. Nicht zuletzt, weil in diesen Ländern die Strukturen des Sozialen Dialogs oft gering ausgebildet sind, Branchenkollektivverträge kaum existieren und die betriebliche Mitbestimmung durch Betriebsgewerkschaften eher schwach organisiert ist.
Trotz dieser Schieflage konnten im Kampf gegen Lohndumping auf europäischer Ebene in den letzten Jahren wichtige Erfolge erreicht werden. Der Beschluss über die Richtlinie zu angemessenen Mindestlöhnen wird Schätzungen zufolge Lohnerhöhungen für 24 Millionen Beschäftigte in Europa mit sich bringen. Gleichzeitig soll die Richtlinie für mehr Lohntransparenz die Lohnschere zwischen Frauen und Männern innerhalb der EU in den nächsten Jahren schließen.
Unser Anspruch als Gewerkschaft GPA ist es, aktiv an der Verhinderung von Lohndumping in der EU mitzuwirken und Rahmenbedingungen zu unterstützen, die einen Aufwärtstrend bei der Lohnentwicklung in ganz Europa bewirken.
Verbindliche Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte
Die EU-Institutionen haben bereits 2017 die Europäische Säule sozialer Rechte (EPSR – European Pillar of Social Rights) proklamiert. Diese umfasst 20 Grundsätze, die gut funktionierende Arbeitsmärkte und Sozialsysteme in Europa ermöglichen sollen.
Seither ist es auf Basis dieser Einigung gelungen, zahlreiche europäische Gesetzesinitiativen durchzusetzen, die konkrete Verbesserungen für Beschäftigte in Europa bewirken. Neben der bereits erwähnten Richtlinie über angemessene Mindestlöhne, der Richtlinie für mehr Lohntransparenz fallen darunter beispielsweise auch die Richtlinie für bessere Arbeitsbedingungen in der Plattformwirtschaft, die Ratsempfehlungen zur EU-Pflegestrategie, die Work-Life-Balance Richtlinie oder die Richtlinie über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen bzw. die Stärkung der Jugendbeschäftigungsgarantie.
Doch die Verwirklichung der gemeinsamen Grundsätze und Ziele hängt insbesondere auch von den Mitgliedstaaten selbst ab. In einem gemeinsamen Aktionsplan haben sich EU-Institutionen (darunter eben auch die Mitgliedsländer) und Sozialpartner darauf verständigt, nationale Ziele festzulegen, um folgende gemeinsame Vorgaben bis 2030 zu erreichen:
- Mindestens 78% der 20- bis 64-Jährigen sollen einer Beschäftigung nachgehen
- Mindestens 60% aller Erwachsener sollen jährlich an Fortbildungen teilnehmen
- Die Zahl der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Menschen soll um mindestens 15 Millionen verringert werden
Ein überarbeitetes sozialpolitisches Profil, welches Trends und Entwicklungen in allen EU-Mitgliedstaaten zur Umsetzung der EPSR verfolgt, soll der EU-Kommission ermöglichen, die Fortschritte der Länder im Rahmen des Europäischen Semesters zu überwachen.
Doch trotz vieler Fortschritte werden die Ziele und Vorgaben immer noch nicht konsequent genug verfolgt. Daher fordern wir auf EU-Ebene:
- Eine konsequente und rechtlich verbindliche Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte auf allen politischen Ebenen. Dadurch soll es gelingen, das wachsende Lohngefälle abzubauen und faire Wettbewerbsbedingungen am Arbeitsmarkt zu schaffen, die Lohn- und Sozialdumping tatsächlich verhindern.
- Die Umsetzung der Aktivitäten rund um die EPSR auf nationaler Ebene im Rahmen des Europäischen Semesters vollwertig zu überwachen, damit die Fortschritte besser gemessen werden können.
- Konkrete Maßnahmen, die das Bekenntnis zur Stärkung des sozialen Dialoges untermauern und die Mitwirkungsrechte von Beschäftigten in Unternehmen erweitern.
- Die Stärkung und Ausweitung kollektiver Verhandlungsmodelle. Die Wiederherstellung kollektiver Verhandlungsmodelle in jenen Ländern, die in der Vergangenheit zur Dezentralisierung ihrer Lohnfindungsmodelle gezwungen wurden, um EU-Mittel in Anspruch nehmen zu können.
- Die Verhinderung gewerkschaftsfeindlicher Praktiken durch den Schutz der Rechte der Sozialpartner. Darunter zählt der (persönliche und digitale) Zugang von Gewerkschaften zu den Betrieben, das Vereinigungsrecht, das Recht auf kollektive Verhandlungen und das Streikrecht.
Vorrang für Gewerkschafts- und Arbeitnehmer:innenrechte
Im Vertragswerk der EU sind die vier Marktfreiheiten festgeschrieben. Daraus resultiert, dass der Binnenmarkt oberste Priorität in der EU genießt und alle anderen politischen Erfordernisse diesem untergeordnet werden müssen. Diese Reihung ergibt eine systematische und einseitige Bevorzugung von Wirtschaftsinteressen.
Lohn- und Sozialpolitik, die Verteilungsgerechtigkeit und Wohlstand für die Vielen garantieren sollen, sowie gewerkschaftliche Rechte und kollektive Vereinbarungen werden vielfach nachrangig behandelt. Sichtbar wird diese vertragliche Schieflage vor allem an den Urteilen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), die oft eine Rechtsprechung zugunsten der Marktfreiheiten und zulasten sozialer und gewerkschaftlicher Rechte bedeuten.
Daher fordern wir auf EU-Ebene:
- Den Vorrang für Gewerkschafts- und Arbeitnehmer:innenrechte im Vertragswerk der EU.
Dazu braucht es ein Soziales Fortschrittsprotokoll, welches im Primärrecht verankert ist und sozialen Grundrechten Vorrang vor wirtschaftlichen Freiheiten einräumt. - Zukünftigen EU-Vertragsänderungen oder EU-Beitritten darf nur zugestimmt werden, wenn damit auch die Durchsetzung des Sozialen Fortschrittsprotokolls einhergeht.
Grenzüberschreitendes Lohn- und Sozialdumping in allen Bereichen verhindern
Die Überarbeitung der Entsenderichtlinie 2018 war ein wichtiger Meilenstein im Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping. Das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ muss seither kontrolliert und in die Tat umgesetzt werden. Dies gilt jedoch nicht für die Lohnnebenkosten, wodurch Entsendeunternehmen weiterhin auf einen unfairen Wettbewerbsvorteil zulasten ihrer Beschäftigter setzen können.
Auf Druck der Gewerkschaften wurde 2019 die Europäische Arbeitsbehörde (ELA) geschaffen. Diese hat die Aufgabe, die Rechte jener Beschäftigten zu schützen, die grenzüberschreitend tätig sind. Die Befugnisse dieser Behörde sind aktuell jedoch nicht weitreichend genug.
Um grenzüberschreitendes Lohn- und Sozialdumping in allen Bereich zu verhindern, fordern wir auf EU-Ebene:
- Der unfaire Wettbewerbsvorteil über die Lohnnebenkosten für Entsendeunternehmen muss beendet werden. Sozialversicherungsbeiträge müssen von den Entsendeunternehmen an den Heimatstaat in voller Höhe und auf Basis des tatsächlichen Lohnes des Ziellandes abgeführt werden.
- Die Befugnisse der Europäischen Arbeitsbehörde müssen ausgebaut und erweitert werden. Dadurch muss sichergestellt sein, dass die Behörde verbesserte Kontrollen durchführen kann und die Rechtsdurchsetzung bei Verstößen möglich ist. Über die Verpflichtung nationaler Behörden zur Zusammenarbeit muss sie den grenzüberschreitenden Vollzug von Verwaltungs- und Strafverfahren lückenlos sicherstellen können.