Wo die Bundesregierung wichtige EU-Initiativen bremst und blockiert
Durch den EU-Rat hat die Österreichische Bundesregierung viele Chancen zur Mitgestaltung der Zukunft Europas. Doch werden diese genutzt?
Neben dem EU-Parlament gibt es auf europäischer Ebene noch eine zweite Institution, die EU-Gesetze verhandelt. Der Rat der EU, ein Art Ministerrat, bei dem die Mitgliedstaaten gemeinsame Vorhaben beschließen können. Es ist der Ort, wo Österreichs Bundesregierung viele Chancen zur Mitgestaltung der Zukunft Europas geboten werden. Doch werden diese genutzt? Die Antwort fällt ernüchternd aus, sieht man sich einzelne Richtlinien an.
Fehlende Bereitschaft für Investitionen
Österreichs Regierung hat sich auf EU-Ebene immer wieder mit einer vielfach kritisierten Sparpolitik hervorgetan, die langfristige Investitionen nicht mitträgt. Diese „sparsame“ Haltung bedeutet auch, dass weniger Geld zur Bewältigung von Krisen zur Verfügung steht – in einer Zeit, in der sich diese immer mehr häufen. Dabei sind öffentliche Investitionen momentan wichtiger als je zuvor, um den Wohlstand und Arbeitsplätze, aber auch unseren Lebensraum zu sichern. Wird nicht bzw. verzögert gehandelt, steigen die Kosten für gegensteuernden Maßnahmen deutlich.
Ein Beispiel für die fehlende Investitionsbereitschaft ist der „Recovery Plan“ in der Höhe von 750 Milliarden Euro, der von der EU im Jahr 2020 beschlossen wurde, um die Herausforderungen durch die Corona-Pandemie besser zu bewältigen. Auch hier bezog Österreich eine klar ablehnende Rolle, mit dem Argument, dass man keine Maßnahmen mittragen könne, die zu einer „Vergemeinschaftung von Schulden“ führen könnten.
Ausbleibende Unterstützung bei Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik
Die EU-weite Mindestlohnrichtlinie soll fairere Arbeitseinkommen und eine höhere kollektivvertragliche Abdeckungsrate innerhalb der Union sicherstellen. Dieser Schritt in Richtung sozialer Gerechtigkeit wurde von Österreich nicht mitgetragen.
Dabei kann gerade auch auf EU-Ebene in Hinblick auf Beschäftigungsbedingungen viel erreicht werden: So wurde im März 2024 eine Einigung bei der Richtlinie zur Plattformarbeit erreicht, einer Arbeitsform, bei der Online-Plattformen Dienstleistungen vermitteln. Somit kann effektiver gegen Scheinselbstständigkeit vorgegangen werden. Was dabei in Hinblick auf Österreich auffällt: Während des Erarbeitungsprozesses hat sich Bundesminister Martin Kocher (ÖVP) immer wieder kritisch gegenüber den vorgeschlagenen Verbesserungen positioniert.
Mangelnde Solidarität in der Sozialpolitik
Unter der türkis-blauen Regierung wurde die Familienbeihilfe indexiert, wodurch Familienleistung auf das Niveau des Herkunftslandes angepasst wurden, sofern die Kinder dort aufhältig waren. Diese Regelung war – allen Erwartungen entsprechend – aber nicht mit dem EU-Recht vereinbar und wurde daher aufgehoben.
Diese populistische Maßnahme zeugt von keinem Interesse an einem solidarischen Handeln aller Mitgliedsstaaten. Einzahlungen in das österreichische Sozialsystem gelten als wünschenswert, während bei der Auszahlung von Familienbeihilfe oder auch Arbeitslosengeld möglichst restriktiv vorgegangen wird.
Unzureichende Gleichbehandlung und Migrationspolitik
In Österreich leisten Frauen im Schnitt zwei Monate im Jahr „gratis“ ihre Arbeit, sind dafür aber stärker von Altersarmut gefährdet. Jede vierte Frau war bereits von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz betroffen. Gleichzeitig wurde der ursprüngliche Vorschlag für eine EU-Richtlinie, die die strukturelle Ungleichheit hätte bekämpfen sollen, von Österreich im EU-Rat abgelehnt.
Auch in Fragen zu legaler Migration und dem langfristigen Aufenthalt für unter anderem Asylwerber:innen bringt Österreich im EU-Rat keine konstruktive Position ein, obwohl dies angesichts des Fachkräftemangels von großer Bedeutung wäre.
Keine Stärkung für Konsument:innen
Garantien über die Haltbarkeit vom Hersteller, verpflichtende Informationen darüber, wie lange Softwareupdates zur Verfügung gestellt werden und “Greenwashing“ in Werbung verbieten. Das alles soll eine entsprechende EU-Richtlinie ermöglichen. Österreichs Position während der Verhandlung im EU-Rat? Zurückhaltend und abweisend, man befürchte zusätzliche Belastungen für Händler:innen.
Ablehnung beim Umweltschutz
Die EU-Verordnung über die Wiederherstellung der Natur ist eine wirkungsvolle Maßnahme im Sinne des Klimaschutzes und der Anpassung an den Klimawandel. Doch sowohl die österreichischen Bundesländer, die dabei eine tragende Rolle spielen, wie auch die EU-Abgeordneten von FPÖ und ÖVP (Othmas Karas ausgenommen), lehnen diesen Vorschlag ab.
Enthaltung bei Fragen zu Menschenrechten
Zur Lieferkettenrichtlinie konnte nach mehreren Anläufen im März 2024 vom EU-Rat ein Kompromiss gefunden werden. So soll die Wahrung von Umwelt- und Menschenrechten bei Zulieferern – mit Einschränkungen – ein notwendiges Kriterium werden.
Besonders brisant war in den Verhandlungen, dass es bereits einen Kompromiss gab, den Österreich und andere Länder dann aber doch nicht mittragen wollten. Auch bei der jetzigen Abstimmung im Rat enthielt sich Österreich.
Fehlende Transparenz, mangelnde Glaubwürdigkeit
Mit einer weiteren Verordnung, die vom Rat im März angenommen wurde, sollen politische Anzeigen als solche zu erkennen sein. Das bedeutet konkret, dass Informationsmanipulation und der Einflussnahme aus dem Ausland auf Wahlen erschwert sollen. Bei dieser sehr eindeutigen Abstimmung – 24 von 27 Ländern stimmten dafür – enthielt sich Österreich, dagegen stimmte nur Ungarn. Ein weiteres Beispiel dafür, dass Österreich es nicht schafft, sich am diplomatischen Parkett klar zu positionieren.
Zu oft werden beim Handeln auf internationaler Ebene Eigeninteressen verfolgt, gleichzeitig wirken Österreichs lange offen gelebte „Russlandnähe“ sowie die 2018 durchgeführte rechtswidrige Hausdurchsuchung im Büro des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) noch immer nach. Dabei wird die Außenpolitik der Bundesregierung immer mehr als Schaupolitik für innenpolitische Narrative wahrgenommen.
Österreichs zukünftige Rolle in der EU
Die passive oder hemmende Rolle bei der Mitarbeit an bestimmenden Themen der Zukunft geht einher mit einer EU-Skepsis in der Bevölkerung, die von der Bundesregierung verstärkt wird, anstatt auf Informationsarbeit zu setzen. Diese sich zunehmend isolierende Position in Kombination mit dem Verhalten im EU-Rat erschwert es, sich an gesamteuropäischen Lösungsfindungen zu beteiligen. Und schwächt somit auch die Bereitschaft anderer Länder, Österreichs Anliegen auf EU-Ebene mitzutragen.
In den letzten fünf Jahren wurde auf europäischer Ebene vieles erreicht. Die Österreichische Bundesregierung hat sich aber, wie die Beispiele zeigen, an dieser Errungenschaft wenig konstruktiv beteiligt oder sogar ablehnend verhalten.