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Neue EU-Kommission: Was bedeutet der Umbau für Arbeitnehmer:innen?

Die Anhörungen der designierten EU-Kommissar:innen befinden sich im November in der finalen Phase. Als europäische Gewerkschaftsbewegung verfolgen wir diesen Prozess aufmerksam, denn die neue Struktur der Kommission wirft Fragen zur künftigen Priorität von Arbeitnehmer:innenrechten auf.

Unsplash / Christian Lue

Wie laufen die Hearings ab?

Jede:r Kommissionskandidat:in muss sich einer etwa dreistündigen Befragung durch die zuständigen Parlamentsausschüsse stellen. Nach einem Eingangsstatement folgen detaillierte Fragen der Abgeordneten – in der Berichterstattung ist häufig von einem „Grilling“ die Rede. Ziel ist es, herauszufinden, wie die Kandidat:innen an die in ihrem Zuständigkeitsbereich liegenden Aufgaben herangehen wollen, welche Vorschläge sie haben und welches Selbstverständnis sie mitbringen. Das Europäische Parlament bewertet anschließend die fachliche Eignung. Erhält ein:e Kandidat:in keine Zustimmung, können zusätzliche schriftliche Fragen oder eine weitere Anhörung folgen. Bisher musste nur der ungarische Kandidat Várhelyi diese zusätzliche Runde absolvieren.

Beschäftigung und Soziales: Fortschrittliche Agenda unter Druck?

Besonders kritisch ist, dass es erstmals seit 1967 kein eigenständiges Ressort für Beschäftigung und Soziales mehr gibt. Der scheidende Kommissar für Beschäftigung Nicolas Schmit von den europäischen Sozialdemokrat:innen war ein engagierter Kämpfer für die Verbesserung von Arbeitnehmer:innenrechten in Europa. Seine Zusammenarbeit mit der europäischen Gewerkschaftsbewegung und seine Kooperation mit den anderen EU-Institutionen haben Errungenschaften ermöglicht, die sich sehen lassen können. Eine Reihe an EU-Richtlinien wird die europäischen Arbeitnehmer:innen in den kommenden Jahren stärken, unter anderem

  • die Mindestlohn-Richtlinie und
  • die Lohntransparenz-Richtlinie
  • voraussichtlich eine Überarbeitung der EBR-Richtlinie.

Für eine Fortsetzung dieser guten Zusammenarbeit stehen die europäischen Gewerkschaften bereit. Ob die neue EU-Kommission und ihre Präsidentin Ursula von der Leyen das auch tun, ist jedoch fraglich.

„People, Skills & Preparedness“

Kommissionspräsidentin von der Leyen hat die Entscheidung getroffen, Schmits Ressort fortan mit den Modebegriffen „People, Skills & Preparedness“ zu bezeichnen. Dass diese Abwendung von den zentralen Begriffen „Arbeit“ und „Soziales“ nicht rein oberflächlich ist, haben schon ihre politischen Leitlinien mit dem Schwerpunkt „Wettbewerbsfähigkeit“ gezeigt.

Die bisherige Arbeit von Schmit soll die rumänische Sozialdemokratin Roxana Mînzatu fortführen. In ihrer Anhörung am 12. November präsentierte sich Mînzatu durchaus engagiert für soziale Themen. Sie kündigte einen „Fahrplan für hochwertige Arbeitsplätze“ an und versprach, das Recht auf Nichterreichbarkeit sowie faire Bedingungen bei Telearbeit voranzutreiben. Auch die Stärkung des sozialen Dialogs und eine EU-Strategie zur Armutsbekämpfung sollen auf ihrer Agenda stehen.

Kollektive Rechte müssen gestärkt werden!

Eine Stärkung der kollektiven Rechte von Arbeitnehmer:innen ist aktuell von höchster Bedeutung. Leider fehlt dieses Thema in Mînzatus Schwerpunktsetzung. Dies kritisieren wir harsch, denn nur die kollektive Mitbestimmung von Arbeitnehmer:innen kann einen sozial gerechten Übergang zu einer nachhaltigen Gesellschaft garantieren.

Neuer Fokus auf leistbares Wohnen

Eine positive Entwicklung ist die erstmalige Schaffung eines eigenen Ressorts für Wohnen, angesiedelt beim Kommissar für Energie. Angesichts explodierender Wohnkosten – EU-weit stiegen die Mieten seit 2019 um 25%, die Kaufpreise sogar um 50% – braucht es europäische Initiativen für leistbares Wohnen.

Kompliziert und doch simpel

Auffällig am Vorschlag für die neue Kommission ist eine starke Überlappung von Zuständigkeiten der verschiedenen Kommissar:innen. Für Außenstehende ist es dadurch schwierig nachzuvollziehen, wer genau der oder die richtige Ansprechpartner:in für ein bestimmtes Anliegen ist. Nicht verständlicher wird die geplante Arbeitsweise, wenn man bedenkt, dass eine Reihe an Kandidat:innen in den ihnen zugewiesenen Themenfeldern kaum Erfahrung mitbringen: Der österreichische Kandidat Magnus Brunner soll EU-Kommissar für Migration und Inneres werden. Mit beiden Themen war er als österreichischer Finanzminister bisher kaum befasst. Auch Roxana Mînzatu bewegt sich erst seit kurzem in der europäischen Beschäftigungspolitik.

Diese Intransparenz von außen (Wer ist wofür zuständig?) kombiniert mit der mangelnden Erfahrung innen (Kommissar:innen als relative Neulinge in ihren Themenfeldern) hat aber einen simplen Effekt: Die Position Ursula von der Leyens wird gestärkt und gleichzeitig der Einfluss ihrer Fraktion, der Europäischen Volkspartei, konsolidiert.

Deine Gewerkschaft bleibt dran!

Nach Abschluss aller Hearings am 21. November wird die Konferenz der Präsident:innen die finale Bewertung vornehmen. Die Abstimmung über das gesamte Kollegium ist für den 27. November geplant. Als Gewerkschaft werden wir den weiteren Prozess kritisch begleiten. Denn klar ist: Gute Arbeit und starke soziale Rechte müssen auch in der neuen Kommission zentrale Prioritäten bleiben.