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Was tun gegen den Ärzt.Innenmangel?

DANIEL GÜRTLER Daniel Gürtler ist Pressesprecher von Barbara Teiber und bereitet im Büro der GPA-Bundesvorsitzenden politische Themen auf. 

Wer krank ist, geht zum Arzt oder zur Ärztin. Was aber, wenn es in der eigenen Gemeinde niemanden gibt? Hatten 2009 noch 3.944 AllgemeinmedizinerInnen einen Kassenvertrag, waren es 2019 bereits nur noch 3.706. Während also 238 Kassenstellen verloren gingen, stieg die Anzahl der PatientInnen pro Quartal um eine Million an – nämlich von 17,5 Millionen auf 18,5 Millionen.

Bei FachärztInnen zeichnet sich in manchen Bereichen ein ähnliches Bild: Gerade in der Kinderheilkunde und der Gynäkologie gibt es viele unbesetzte Kassenstellen. Auch wenn 97 Prozent der etwa 8.000 Kassenstellen besetzt sind, besteht Anlass zu Sorge: In zehn Jahren geht die Hälfte der niedergelassenen ÄrztInnen in Pension. Das heißt, dass mittelfristig jährlich zirka 400 Kassenstellen nachbesetzt werden müssen.

Gleichzeitig explodiert die Anzahl an WahlärztInnen – einerseits weil sich junge ÄrztInnen entschließen, diesen Weg einzuschlagen, andererseits weil bestehende KassenärztInnen ihren Kassenvertrag kündigen und zu WahlärztInnen werden.

Das zeigt sich auch in einer beeindruckenden Zahl: Mit 5,2 praktizierenden ÄrztInnen je 1.000 EinwohnerInnen haben wir in Österreich die zweithöchste ÄrztInnendichte in Europa, der OECD-Schnitt liegt bei 3,5.

Seit 1970 ist die Zahl der Ärztinnen und Ärzte massiv gestiegen von etwa 12.500 auf rund 45.000, also um über 260 Prozent. Die Bevölkerung ist im gleichen Zeitraum um 17 Prozent gewachsen.

Conclusio: Es gibt genug Ärztinnen und Ärzte, nur nicht genug mit Kassenvertrag.

Warum gibt es immer weniger KassenärztInnen und immer mehr WahlärztInnen?

Das System der WahlärztInnen stammt aus einer Zeit, als es deutlich mehr ÄrztInnen gab als offene Kassenstellen. WahlärztInnen wurden geschaffen, damit MedizinerInnen, die keine Kassenstelle bekamen, dennoch praktizieren konnten. In Österreich bekommen Versicherte bei Wahlärztinnen und Wahlärzten 80 Prozent des Geldes zurückerstattet, die bei einem Kassenarzt angefallen wären.

WahlärztInnen sind allerdings an weniger Regelungen gebunden als KassenärztInnen: Es gibt keine Mindestöffnungszeiten, keine Einschränkungen bei der Wahl des Standorts, sie müssen keine Bereitschaftsdienste machen und können die Höhe ihrer Honorare frei entscheiden. All diese Verpflichtung von KassenärztInnen sind aber wichtig, um die Versorgung der Bevölkerung aufrecht zu erhalten. Das öffentliche Gesundheitssystem muss dafür sorgen, dass alle Menschen, egal welchen Backgrounds, behandelt werden. Deshalb sind mit einem Kassenvertrag bestimmte Verpflichtungen verbunden, die WahlärztInnen nicht haben. Weil aber eben Versicherte bei WahlärztInnen trotzdem etwas erstattet bekommen, fühlen sich viele KassenärztInnen ungerecht behandelt. Nicht wenige kehren daher dem Kassenvertrag den Rücken und werden Wahlarzt oder Wahlärztin.

Für die Privatversicherungen ist das Geschäft mit den WahlärztInnen ein profitables: Die ausgeschütteten Prämien sind seit 2012 um 42 Prozent gestiegen. Nur etwa die Hälfte der Prämien ihrer Versicherten verwenden Privatversicherungen für Leistungen.

Wer es sich leisten kann und privat versichert ist, bekommt bei einer Behandlung bei WahlärztInnen zusätzlich Geld von der Privatversicherung. Wer eine Privatversicherung abgeschlossen hat, bekommt in der Regel den Rest des Honorars, den die Krankenkasse nicht zahlt, privat bezahlt. In Deutschland ist das anders: Beim Privatarzt zahlt die Privatversicherung alles, die Kasse nichts.

Für die Privatversicherungen ist das ein profitables Geschäft: Die ausgeschütteten Prämien sind seit 2012 um 42 Prozent gestiegen. Nur etwa die Hälfte der Prämien ihrer Versicherten verwenden Privatversicherungen für Leistungen. 

Das geht allerdings auf Kosten der öffentlichen Gesundheitsversorgung: Die Idee der Krankenkassen ist, dass alle Menschen, egal wie viel Geld sie haben, bestmöglich versorgt sind. 

Was kann man tun?

Es gibt verschiedene Ansätze, um das Problem zu lösen. Zuletzt hat Andreas Huss, ArbeitnehmerInnenvertreter in der ÖGK, vorgeschlagen, allen Ärztinnen und Ärzten einen Kassenvertrag anzubieten. Attraktive Kassenstellen sollen geschaffen werden. Dadurch soll das System der WahlärztInnen obsolet werden. Das hätte zur Folge, dass es nur noch KassenärztInnen gäbe, wo die Leistungen von der Krankenkasse bezahlt werden und PrivatärztInnen, wo die Krankenkasse gar nichts zuzahlt.

Eine solche Umstellung im System würde dazu führen, dass viele WahlärztInnen in den öffentlichen Bereich wechseln würden, weil PatientInnen nicht bereit wären, das volle Honorar des Privatarztes zu bezahlen. So könnten unbesetzte Kassenstellen besetzt und neue geschaffen werden, auch die Benachteiligung von KassenärztInnen gegenüber WahlärztInnen wäre beseitigt.

Auch für die Österreichische Gesundheitskasse, die Krankenkasse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, hätte diese Umstellung einen Vorteil: Momentan werden für die Abrechnung der WahlärztInnen, die nur sieben Prozent der Ausgaben für ärztliche Hilfe ausmachen, 50 Prozent des Personals der Abteilung für Vertragspartnerabrechnungen aufgewendet. Im Gegensatz zur Abrechnung von Kassenstellen kann hier nämlich nicht voll automatisiert abgerechnet werden. Das gesparte Geld könnte von der Gesundheitskasse statt in Administration in die Patientenversorgung investiert werden.

Eine weitere Möglichkeit zur Steigerung der KassenärztInnenzahl wäre der Ansatz bei Studierenden. Eine Medizin-Studentin oder ein Medizin-Student kostet die SteuerzahlerInnen pro Studienjahr 60.000 Euro. Viele der Studierenden sind AusländerInnen, etwa Deutsche, die nach ihrem Studium gar nicht in Österreich praktizieren. Hier könnte in Richtung der Landarztquote gedacht werden, wie es sie in Deutschland gibt. Dort kommt man leichter ins Aufnahmeverfahren, wenn man sich verpflichtet, nach dem Studium für zehn Jahre im öffentlichen Gesundheitssystem zu arbeiten.

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