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Die Antwort auf steigenden Arbeitsdruck? Arbeitszeitverkürzung! 

Die gesetzliche Definition von Vollzeit stammt aus dem Jahr 1975 und ist fast 50 Jahre alt. Die Welt hat sich seither massiv verändert: Wo Menschen früher auf der Schreibmaschine getippt und Briefe per Post verschickt haben, herrscht jetzt digitaler Austausch in Echtzeit. Wo früher in händischer Arbeit Produkte Stück für Stück zusammengesetzt wurden, laufen jetzt hochautomatisierte Fertigungsprozesse. Wo früher Zeit war, Patient:innen oder Kund:innen gut zu betreuen, herrscht jetzt Stress pur. Die Produktivität hat sich seit Mitte der 1970iger Jahre verdoppelt. Auch in Dienstleistungsberufen, wie etwa in der Pflege, haben Arbeitsverdichtung und Zeitdruck enorm zugenommen. Aber an der gesetzlichen Normalarbeitszeit hat sich seit einem halben Jahrhundert trotzdem nichts verändert.

Die Arbeiterkammer Wien wollte wissen, wie das die Arbeitnehmer:innen selbst sehen und hat Ende 2022 eine Online-Umfrage zum Thema Arbeitszeit durchgeführt. 4.700 Personen haben teilgenommen, die Forschungs- und Beratungsstelle FORBA hat die Daten ausgewertet. Dabei zeigt sich ganz klar: Die Mehrheit der Arbeitnehmer:innen wünscht sich kürzere Arbeitszeiten. 8 von 10 der Befragten würden dafür sogar Lohn- oder Gehaltseinbußen in Kauf nehmen. Die arbeitenden Menschen wollen eindeutig eine neue, gesunde Vollzeit.

Die durchschnittliche Arbeitszeit für Vollzeitkräfte liegt mit 40,8 Stunden deutlich über dem Schnitt im Euroraum von 39,4. Österreich gehört damit zu den Ländern mit der höchsten Vollzeit-Stundenzahl.

Fast alle wollen kürzer arbeiten 

Wie die Umfrage zeigt, würde eine solche gesunde Vollzeit wesentlich dazu beitragen, die Arbeitszeit gerechter und besser zu verteilen: Vollzeitkräfte würden weniger, Teilzeitkräfte mehr als bisher arbeiten. In Summe würde drei Viertel der Befragten bei einer gesetzlichen Normalarbeitszeit von 30 Stunden pro Woche Vollzeit oder fast Vollzeit arbeiten.

Davon sind wir in Österreich allerdings weit entfernt: Die durchschnittliche Arbeitszeit für Vollzeitkräfte liegt mit 40,8 Stunden deutlich über dem Schnitt im Euroraum von 39,4 (Eurostat, EU 20). Österreich gehört damit zu den Ländern mit der höchsten Vollzeit-Stundenzahl. In vergleichbar hochentwickelten Volkswirtschaften wie Dänemark, Niederlande und Finnland ist die Normalarbeitszeit deutlich niedriger. Dabei wird diese Leistung manchmal gar nicht bezahlt. Letztes Jahr blieben 47,1 Mio. Überstunden unvergütet, d.h. die Betriebe haben sie den Mitarbeiter:innen weder in Geld noch in Zeit abgegolten. Damit haben die Unternehmen den Beschäftigten 1,2 Mrd. Euro vorenthalten.

Mehr Zeit für ein Leben außerhalb des Betriebes

Die Arbeitswelt hat sich technisch und organisatorisch enorm weiterentwickelt, der Arbeitsdruck steigt und steigt. Aus der Befragung geht deutlich hervor: Die Beschäftigten sind in vielen Bereichen am Limit, sie wollen kürzer arbeiten, sie wollen mehr Zeit für ein Leben außerhalb des Betriebes. Das ist ein ganz klarer Auftrag: Wir brauchen endlich eine gesetzliche Vollzeit, die ins 21. Jahrhundert passt. Es muss für Frauen und Männer möglich sein, gesund und produktiv bis zum Regelpensionsalter zu arbeiten und dabei auch noch ein Leben zu haben. Da der Wunsch nach einer Arbeitszeitverkürzung in allen Branchen ungefähr gleich stark ausgeprägt ist, ist eine gesetzliche Arbeitszeitverkürzung der einzig logische Schritt. Laut Arbeitsklimaindex der AK OÖ kann sich jede:r dritte Arbeitnehmer:innen – also rund 1 Million Arbeitnehmer:innen – nicht vorstellen, im aktuellen Beruf bis zum Pensionsalter durchzuhalten, Arbeitsdruck und überlange Arbeitszeiten sind dabei sicherlich ein wesentlicher Faktor.

Innovative Unternehmen in Österreich, die ihre Mitarbeiter:innen halten wollen, bieten daher quer durch alle Branchen bereits kürzere Arbeitszeiten bei vollem Lohnausgleich an. So zeigen das Marketing-Unternehmen eMagnetix ebenso wie das Parkhotel Brunauer, dass nicht nur die Beschäftigten von kürzeren Arbeitszeiten profitieren, sondern auch das Unternehmen.

Wir sind seit 1975 doppelt so produktiv, arbeiten aber noch immer 40 Stunden!

Im Jahr 1930, also vor nicht ganz hundert Jahren, prognostizierte der Ökonom John Maynard Keynes, dass wir heute nur mehr 15 Stunden arbeiten würden. Er irrte sich zwar in der Frage, wie sehr sich die Arbeitszeit reduzieren würde. Was er jedoch sehr richtig voraussah, war der enorme Zuwachs an Produktivität.

In Österreich wurde die Arbeitszeit auf gesetzlicher Ebene zuletzt 1975 verkürzt. Die Produktivität pro Arbeitsstunde hat sich seither verdoppelt! Dass die derzeit geltenden Regelungen überhaupt nicht mehr zeitgemäß sind, zeigt sich auch an den Antworten auf die Frage „Wann gab es die letzte gesetzliche Arbeitszeitverkürzung?“ Gerade einmal die Hälfte der Befragten konnte das Jahr 1975 als richtige Antwort zuordnen. Alle anderen gingen von einem deutlich späteren Zeitpunkt aus – 7 Prozent glaubten sogar, die letzte Verkürzung wäre erst 2005 erfolgt. Der Grund für diese Einschätzungen sind wohl die Verhandlungserfolge der Gewerkschaften, die bereits in vielen Kollektivverträgen kürzere Arbeitszeitenverankern konnten. Es ist nun allerdings hoch an der Zeit, dass der Gesetzgeber nach einem halben Jahrhundert endlich in der modernen Arbeitswelt ankommt und eine moderne Vollzeit ermöglicht.

Hoher Arbeitsdruck, große Belastungen

Die Teilnehmer:innen der Umfrage nehmen die gestiegene Produktivität oft als stark erhöhten Arbeitsdruck wahr und unterstreichen die Forderung nach einer gesetzlichen Arbeitszeitverkürzung. Auch die Daten aus dem Arbeitsklimaindex der Arbeiterkammer Oberösterreich zeigen, dass Belastungen aufgrund von Zeitdruck, aufreibenden Arbeiten und ständigem Wechsel der Tätigkeiten massiv angestiegen sind. 2012 sagten noch 11,7 Prozent, sie wären durch ständigen Zeitdruck (sehr) stark belastet, 2022 lag dieser Anteil mit 27 Prozent mehr als doppelt so hoch. Die Menschen arbeiten viel intensiver und brauchen damit auch mehr Zeit für Erholung, um dauerhaft leistungsfähig zu bleiben.

Der Wunsch nach Veränderung zieht sich quer durch alle Branchen 

Im Summe geben 82 Prozent an, kürzer arbeiten zu wollen, nur 3 Prozent wünschen sich eine Aufstockung der Arbeitszeit. „Die grundlegende Tendenz ist immer gleich: Männer wie Frauen, Arbeiter:innen wie Angestellte, möchten weniger Stunden arbeiten. Der Wunsch nach einer kürzeren Arbeitszeit ist auch nicht auf einzelne Branchen beschränkt, wo der Arbeitsdruck im Fokus der öffentlichen Debatte liegt, sondern zieht sich quer durch: „Egal, in welchem Bereich die Befragten erwerbstätig sind: 8 bis 9 von 10 Arbeitnehmer:innen wollen weniger Stunden arbeiten als derzeit.

Starker Wunsch nach weniger Arbeitszeit – sogar bei Einkommenseinbußen 

73 Prozent der befragten Frauen und 94 Prozent der befragten Männer arbeiten derzeit Vollzeit bzw. nahe dran oder sogar darüber hinaus. Aber nur ein Viertel der Frauen und ein Drittel der Männer wollen tatsächlich so lange Arbeitszeiten.

Sogar wenn das Einkommen entsprechend der geringeren Arbeitszeit sinken würde, wollen jeweils 6 von 10 Frauen und Männern eine Arbeitszeit im Bereich der gesunden Vollzeit zwischen 25 und 35 Stunden. 

Bei einer 30-Stunden-Woche würde die deutliche Mehrheit Vollzeit arbeiten 

Würde eine 30-Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich eingeführt, fände diese als neue Vollzeitnorm sehr hohe Akzeptanz: Drei Viertel der Befragten würden dann 30 Stunden oder knapp darunter arbeiten.

Eine Verringerung der Wochenarbeitszeit würde zu einer viel gleichmäßigeren Verteilung der Arbeitszeit beitragen. Nicht nur bisher Vollzeit-Beschäftigte würden die neue Norm gerne übernehmen, auch die Hälfte der Befragten, die bisher unter 25 Stunden arbeitet, wäre dann bereit, in der neuen Vollzeit zu arbeiten. Neben einer generelleren Orientierung an der gesetzlichen Normalarbeitszeit dürfte das auch daran liegen, dass Vollzeit in Österreich sehr oft mit Überstunden einhergeht, sodass die faktische Arbeitszeit einer Vollzeitkraft oft über 40 Wochenstunden beträgt. 

Mehr Zeit für Familie, Ausbildung, Sport und Hobbys 

Wenn es darum geht, wie die Beschäftigten die neu gewonnene Zeit verwenden würden, steht der Wunsch nach Erholung sowie mehr Zeit für die Familie mit jeweils fast 60 Prozent ganz oben auf der Liste. Hier spiegeln sich die Probleme der bisherigen Vollzeit – zu hoher Arbeitsdruck und kaum gegebene Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Weitere 40 Prozent wollen mehr Zeit für Sport und Hobbys nutzen. Immerhin 3 von 10 möchten eine Ausbildung machen und 2 von 10 wollen sich (stärker) ehrenamtlich engagieren. Nur 3 Prozent geben an, gleich lang arbeiten zu wollen wie bisher. 

Potenzial an Arbeitskräften ist vorhanden und wird wachsen 

Als häufiges Argument gegen die Verkürzung der Arbeitszeit wird aktuell der „Mangel an Arbeitskräften“ ins Treffen geführt. Tatsächlich wächst das Arbeitskräfteangebot in Österreich aber, wie eine aktuelle Studie des WIFO zeigt. Dabei wird im Zeitraum 2018 bis 2040 ein Zuwachs um insgesamt 176.000 Personen prognostiziert. Bei diesem Szenario sind die bereits beschlossenen Maßnahmen wie die Angleichung des Pensionsantrittsalters berücksichtigt. Damit wird auch der theoretische, demographisch bedingte Rückgang der Erwerbstätigen mehr als ausgeglichen werden. Zudem gibt es großes Potenzial bei den Arbeitsuchenden und bei Teilzeitbeschäftigten, die ihre Arbeitszeit ausweiten möchten wie auch bei Menschen, die entmutigt die Arbeitssuche aufgegeben haben, aber gerne arbeiten würden. Laut einer aktuellen Studie von SORA umfasst allein die letztgenannte Gruppe über 70.000 Personen. 

Pilotversuch für eine 4-Tage-Woche in Großbritannien 

In Großbritannien wurde ein Pilotversuchs für eine 4-Tage-Woche mit kürzerer Wochenarbeitszeit umgesetzt. Dabei konnten die beteiligten Unternehmen ihre Umsätze steigern und die Zahl der Krankenstandstage sank. Der Pilotversuch wurde unter Mitwirkung von Wissenschaftlern der Elite-Universität Oxford durchgeführt.

Dieser Text wurde von der Arbeiterkammer zur Verfügung gestellt.

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